15. August 2000

Milchkühe halten ohne Kälber zu töten

Von Erwin Kessler, Präsident Verein gegen Tierfabriken VgT

Manche Menschen lehnen nicht nur Tierquälerei ab sondern auch das schmerzfreie Schlachten von Tieren. Deshalb verzichten Veganer grundsätzlich auf den Konsum tierischer Lebensmittel und Gebrauchsgegenstände (zB Leder). Als ich hörte, dass es in Schweden ein Dorf der Religionsgemeinschaft Hare Krishna gibt, wo Milchkühe gehalten werden, ohne dass Tiere geschlachtet werden, entschloss ich mich zu einem Besuch, um an Ort und Stelle zu sehen, wie das praktisch gemacht wird. Die religiöse Überzeugung gibt den Hare Krishna Anhängern die Kraft, neue Wege zu gehen und sich nicht im vornherein von wirtschaftlichen Nachteilen abschrecken zu lassen. 35 Personen leben in der Hare Krishna Gemeinde in dem zu Järna gehörenden Weiler Almvik. Sie arbeiten teils im Dorf in der Landwirtschaft, in den Gewächshäusern, in der Bäckerei und Sägerei, teils arbeiten sie auswärts. Die Landwirtschaft umfasst 18 ha Wies-, Acker- und Gartenland und 120 ha Wald. Im Dorf sind Fleisch, Alkohol und Rauchen verpönt. Die Hare-Krishna-Anhänger ernähren sich lakto-vegetarisch. Es werden grundsätzlich keine Tiere getötet. Die eigenen Kühe decken nur den Trinkmilchbedarf. Butter und Käse wird eingekauft :-( Zur Erhaltung einer konstanten Milchkuhherde von vier bis fünf laktierenden Kühen muss jede Kuh durchschnittlich zweimal gebären (durchschnittlich je ein weibliches und ein männliches Kalb). Die männlichen Jungtiere (Bullen oder Stiere, schweizerdeutsch Muni) werden zuerst zum Decken der Kühe benutzt und später kastriert. Durch die Kastration werden sie zu Ochsen. Diese werden als Zugtiere verwendet, vor allem im Winter zum Holzen, aber auch für kleinere Feldarbeiten. (Die grossen Äcker werden mit Traktor bearbeitet.) Sonst befinden sich die Ochsen im Sommer auf der Weide. Auch die Milchkühe und die alten Kühe, die keine Milch mehr geben, befinden sich auf der Weide, je in getrennten Weiden. Der Jungstier weidet an einem Pflock angebunden :-( Bei den Kühen darf er nicht weiden, da so die Kühe unplanmässig gedeckt würden und der Tierbestand zu gross würde. Abgetrennt von den Kühen kann der Stier nicht freilaufend geweidet werden, da er fast jeden Zaun durchbrechen würde, um zu den Kühen zu gelangen. Die Rindviehherde umfasst zur Zeit 24 Tiere, davon 4 Milchkühe, im übrigen alte Kühe und Ochsen. Die Kühe werden vom Kalben an 5 Jahre gemolken und geben nach fünf Jahren noch etwa 2 Liter Milch pro Tag. Dann werden sie entweder trocken gestellt oder kalben nochmals. Die alten Tiere sterben eines natürlichen Todes. Die letzten paar Tage können sie nicht mehr aufstehen. Deshalb hat die Gemeinde Probleme mit den Tierschutzbehörden, welche verlangen, dass festliegende alte Tiere getötet werden, und – weil dies nicht gemacht wird – damit drohen, alle alten Kühe zwangsweise in den Schlachthof zu führen. Diese Auseinandersetzung mit den Behörden ist noch nicht zu Ende. Da das friedliche Dorf sonst viel Sympathie hat, scheint es so, dass von einem Zwangsvollzug abgesehen wird.

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Ein Ochsen-Gespann. Nach der Kastration bekommen die männlichen Tiere zufolge des veränderten Hormonsystems zunehmend ein weibliches Aussehen und sind von weitem kaum mehr von Kühen zu unterscheiden.

 

Kommentar:

Interessant an dieser Rindviehhaltung ist die Erfahrung, dass Kühe längstens nicht jedes Jahr ein Kalb gebären müssten – wie bei uns üblich – um Milch zu geben. Die Kastration ist – auch unter Lokalanästhesie – besonders bei schon ein- bis zweijährigen Tieren eine ziemlich grausige Operation und – wie die äusserlich starke Veränderung der Ochsen zeigt – ein Eingriff mit massiven Nachwirkungen (bei Hunden und Katzen, wo männliche und weibliche Tiere sowieso gleich aussehen, nur nicht so augenfällig). Wesentlich sanfter und ohne unerwünschte Nebenwirkungen wäre ein blosses Unterbinden der Samenleiter (wie bei Menschen üblich). Das würde aber bei Stieren den angestrebten Zweck nicht erfüllen: Stiere werden ja auch deshalb kastriert, um ihnen die männlichen Hormone zu nehmen und sie damit sanftmütig wie Kühe zu mache. (Manche Landwirte lassen den Stier mit der Kuhherde mitlaufen. Dabei werden aber alle Kühe laufend gedeckt, was in der normalen Landwirtschaft erwünscht ist, beim Hare-Krishna-System ohne Schlachtungen jedoch zu einer Überpopulation führen würde.)

Was mich aber sehr befremdet hat: Weil diese Art von Viehwirtschaft sehr wenig an Milchleistung abwirft, kaufen einzelne Mitglieder dieser Gemeide einfach beim Nachbarn, der völlig konventionell wirtschaftet, Käse und Butter.

Der von dieser Hare Krishna Gemeinde gewählte Weg der Kuhhaltung zeigt wieder einmal, dass Haustierhaltung kaum ohne irgendwelche tierschutzrelevanten Kompromisse möglich ist. So interessant dieser Hare Krishna Weg ist, so scheint er mir nicht vorbildlich und zukunftsorientiert. (24 Tiere müssen gehalten werden, um 4 laktierende und erst noch in der Milchleistung teilweise stark reduzierte Milchkühe zu haben. Der konsequent vegane Weg ist wesentlich einfacher - und gesünder als Milchkonsum, wie man heute weiss.

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Das Hare Krishna Dorf von einem nahen Hügel aus fotografiert.

 

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An der Dorfgrenze beginnt der geheimnissvolle, unwegsame Märchenwald: prächtige Fliegenpilze, grosse Ameisenhaufen und Spuren von Elchen.

 

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Ein nach baubiologischen Grundsätzen mit Holz, Lehm und Stroh aus der Umgebung erstelltes Holz-Lehmhaus mit Strohdach bietet einer Familie gesunden Wohnraum. Ein gemauerter Ofen spendet im Winter dem ganzen Haus behagliche W�rme.  

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Herrliche Aussicht auf den See  -   einen der typisch schwedischen Seen, von denen es zehntausende gibt.

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Auch ein Badeplatz fehlt nicht.

 

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Ein anderer Badesee, wenige Autominuten von Almvik.

 

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Ein lohnendes Ausflugsziel am grossen Mälaren-See: Mariefred mit dem Schloss Gripsholm. Hier spielt Kurt Tucholskys Roman "Schloss Gripsholm", eine Liebesgeschichte. 

 

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Der Autor mit Laptop-Computer, den Reisebericht schreibend.


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