6. August 2009

Zum Gedenken an Marlis Braun

Schweinestall der Landwirtschaftsschule Arenenberg                               von Erwin Kessler, Gründer und Präsident VgT

Der Nachruf auf Marlis Braun in der Thurgauer Zeitung vom 6. August stellt bezüglich des Schweinestalles Arenenberg  eine Desinformation dar, die nicht unwidersprochen bleiben darf - weil die Tierschutzverhinderung im Kanton Thurgau heute immer noch gleich abläuft. Aus Historischem kann man lernen, aber nur wenn die Geschichtsschreibung nicht verfälscht ist.

Gegen Ende 1989 erfuhr ich zufällig vom geplanten Neubau für den Schweinestall der Landwirtschaftsschule Arenenberg . In der vorberatenden Kommission hatte die grüne Kantonsrätin Marlis Braun vergeblich Opposition gegen das Projekt gemacht . Sie beanstandete die Vollspaltenböden, die Kastenstände und den fehlenden Auslauf, was alles den Kriterien einer modernen Schweinehaltung diametral widersprach. Sie hatte als Laie und Vertreterin der «falschen» Partei gegen die Fachleute der Landwirtschaftsschule Arenenberg keine Chance. Wie aus den Kommissionsprotokollen ersichtlich war, wurde die Opposition von Marlis Braun mit irreführenden Halbwahrheiten unterdrückt und das projektierte Stallkonzept gemäss Botschaft an den Grossen Rat verteidigt . Arenenberg-Direktor Otto Balsiger erklärte, dass er zu diesem Stallkonzept 100-prozentig stehen könne. In meinem Buch "Tierfabriken in der Schweiz" (www.vgt.ch/buecher/kessler/tierfabriken_in_der_schweiz.pdf) ist der Plan des Schweinestalles gemäss Botschaft des Regierungsrates wiedergegeben: eine üble Schweinezuchtfabrik gefüllt mit den berüchtigten Kastenständen für Mutterschweine, die schon damals wissenschaftlich als tierquälerisch nachgewiesen waren.

Am 26. Januar 1987 hatte Regierungsrat Fischer vor dem Thurgauer Grossen Rat erklärt: «Die sogenannte Schwemmentmistung, die man seinerzeit eingeführt hat, um den Arbeitsaufwand im Viehstall reduzieren zu können, wird für uns auf die schwarze Liste kommen. Wir werden von Seiten unserer Amtsstelle dafür sorgen, dass nur noch Sanierungen und Stallneubauten mit öffentlichen Geldern unterstützt werden, welche diesem Problem Rechnung tragen und weniger Gülle produzieren und dafür mehr Dünger in fester Form.» Der gleiche Regierungsrat wusste dann zwei Jahre später nichts Gescheiteres, als eine solche Schwemmentmistung mit einstreulossen Spaltenböden für seinen eigenen Neubau auf dem Arenenberg gutzuheissen. Der Staat Thurgau ging also daran, genau einen dieser Ställe zu bauen, die er auf die «Schwarze Liste» gesetzt hatte!

Während des ganzen Abstimmungskampfes forderten Marlis Braun und ich konsequent und klar lediglich den Verzicht auf Kastenstände und statt dessen eingestreute Liegeplätze und einen buchtenweisen, eventuell überdeckten Auslauf für die Schweine, so wie das schon damals an der eidgenössischen Forschungsanstalt in Tänikon als tiergerechtes und wirtschaftliches System empfohlen wurde und besichtigt werden konnte . Bewusst – um nicht unrealistisch zu wirken
– gingen wir nicht soweit, eine Weidehaltung zu fordern, was übrigens auch nicht übertrieben gewesen wäre. Obschon wir also in unseren Forderungen bescheiden und absolut realistisch blieben, nur offiziell Empfohlenes, nichts Selbsterfundenes forderten, hat uns Regierungsrat Fischer mehrfach öffentlich unterstellt, was wir forderten, sei ein "Zoologischer Garten"  bzw. ein "Wildpark".  An der Pressekonferenz der Regierung vom 23. Januar 1989 auf dem Arenenberg hiess es in den von Regierungsrat Fischer unterzeichneten Presseunterlagen wörtlich: «Die Landwirtschaftsschule Arenenberg hat einen klaren Ausbildungsauftrag. Diesen kann sie nur erfüllen, wenn den jungen Bauern am praktischen Beispiel gezeigt wird, wie neuzeitliche, gesetzeskonforme und tiergerechte Aufstallungssysteme aussehen und wie sie in der Praxis anzuwenden sind, damit sie für unsere bäuerlichen Familienbetriebe wirtschaftlich tragbar und arbeitstechnisch sinnvoll sind.  Wir sind weder gewillt noch befugt, am Arenenberg einen Zoologischen Garten für Schweine einzurichten, wie das von gewissen extremen Kreisen gefordert wird. Die haltlose, infame und verleumderische Unterstellung, dass von den für die Neubauten am Arenenberg zuständigen kantonalen Stellen versucht werde, mit Halb- und Unwahrheiten das behördliche Prestige zu wahren, weisen wir mit aller Schärfe und Entschiedenheit sowie mit grsster Entrüstung zurück.»

Unbeirrt vom verlogenen Verhalten ihres Regierungsrates beschloss die SVP Thurgau einstimmig die Ja-Parole zu diesem Projekt und stellte sich «voll und ganz» hinter ihren Regierungsrat, der trotz seiner Ausbildung als Ingenieuragronom einen zoologischen Garten offenbar nicht von einer modernen wirtschaftlichen und tiergerechten Schweinehaltung unterscheiden konnte. Die SVP-Politiker wurden im ganzen Kanton in den Abstimmungskampf geschickt, verbreiteten getreulich die längst widerlegten Behauptungen von Regierungsrat Fischer, und die Thurgauer  Zeitung übernahm diese Botschaften mit grossen Aufmachungen, während sie unsere Stellungnahmen unterdrückte.

An einer öffentlichen Veranstaltung ging SVP-Kantonsrat Kurt Weber, Mitglied der Baukommission Arenenberg, sogar so weit zu erklären, die Pläne mit den Kastenständen seien irrtümlicherweise in die Botschaft an den Grossen Rat hineingekommen (Thurgauer Zeitung vom 13. Februar 1989). Dass diese Pläne von seinen Kollegen in der vorberatenden Kommission laut und arrogant und «100-prozentig» verteidigt worden waren, erwähnte er nicht. Hatte man damals aus Versehen ein falsches Projekt verteidigt, weil man aus Prinzip jede Opposition von grüner Seite bekämpfte? An der gleichen Veranstaltung hatte Regierungsrat Fischer noch eine andere Propaganda-Lüge bereit: die «Buchten» in den Plänen seien von mir irrtümlich als Kastenstände interpretiert worden.  Aber, aber Herr Regierungsrat: Pläne lesen kann ich als studierter Bauingenieur also wirklich! Der Widerspruch seiner Darstellung zu derjenigen seines Parteikollegen Weber störte offenbar nicht. Kann ich nun nicht planlesen, oder waren in der Botschaft "irrtümlich" die falschen Pläne abgebildet? Vielleicht dachte Fischer, der (damalige) SVP-Redaktor der Thurgauer Zeitung würde dann schon die bestgeeignete Darstellung auswählen – was dieser dann auch brav tat: Er brachte nämlich nur die Version Weber. Die Version Fischer war dagegen in der Bodensee Zeitung (vom 13. Februar 1989) nachzulesen.

Ein SVP-Gemeinderat und Redaktor der Thurgauer Zeitung schrieb am 10. Februar 1989 in dem kurz zuvor von der Thurgauer Zeitung aufgekauften Oberthurgauer Anzeiger: «Man nehme eine gut fundierte und ausgewogene Vorlage, suche verbissen nach einer vermeintlichen Schwachstelle und mache möglichst starken Medienlärm, bis viele der Ansicht sind, hier müsse etwas nicht in Ordnung sein. Dieses Rezept muss aus dem Lehrbuch des Tuttwiler Bauingenieurs Erwin Kessler stammen, denn so ungefähr verhielt sich dessen Handlungsweise.»

Die anderen bürgerlichen Parteien liessen die SVP nicht im Stich. Alle unterstützten die Vorlage - mangels besserer Argumente mit der Begründung, der Schweinestall sei nur ein kleines Detail des ganzen Projektes . . . Tiere sind eben ein Detail, eine Sache, die nur insoweit wichtig ist, als sie Geld einbringt.

Nachdem die Grüne Partei und der Landesring nach Referaten von mir die Nein-Parole beschlossen hatten, erhielten wir dann endlich, zehn Tage vor der Abstimmung, aus dem Baudepartement die
schriftliche Bestätigung, dass das Bauprojekt in unserem Sinne geändert worden sei. Hierauf stellten wir die Opposition ein. Jeder interessierte Bürger kann sich heute auf dem Arenenberg selber ein Bild machen, ob dort ein Wildpark für Schweine verwirklicht wurde und nicht eher das absolute Minimum, was von einer einigermassen anständigen Tierhaltung zu erwarten ist.

Es ist nicht ganz so, wie Peter Wildberger im Nachruf auf Marlis Braun schreibt, dass die "aufrichtige, fröhliche Art" von Marlis Braun den Staatsschweinen auf dem Arenenberg das Glück gebracht hat.

Erwin Kessler, Verein gegen Tierfabriken Schweiz VgT.ch


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