VgT-Dokumentation

Ein Beitrag zur Geschichtsschreibung über moderne Inquisition und die politische Justizwillkür in der Schweiz

Der Hexenprozess gegen den
Suizidhelfer Peter Baumann

Motto: "Es ist einfach kaum zu fassen, obwohl wir doch nun über achteinhalb Jahre im Fassen von Unfassbarem trainiert worden sind." Peter Baumann

Prolog von Erwin Kessler

Der Psychiater Dr Peter Baumann hat aus ideellen, zutiefst humanen Beweggründen offen und ehrlich nach Gesetz erlaubte Suizidhilfe geleistet  und damit den Sterbewunsch hoffnungslos leidender Menschen erfüllt. Das passt einer christlich geprägten, heuchlerischen Gesellschaftsschicht nicht, welche andererseits das tägliche massenhafte Abschlachten von gesunden, lebenswilligen Tieren gutheisst. Es ist diese barbarische widersprüchliche Heuchelei, die mich veranlasst, mit publizistisch mit dem Fall Baumann zu befassen.

Der Geist dieser christlichen Heuchler ist 230 Jahre nach dem letzten offiziellen Hexenprozess in der Schweiz immer noch so präsent, dass er weiterhin sein Unwesen treiben kann. Wenn das ein Trost ist: heutige Opfer werden nicht gleich geköpft oder lebendig verbrannt, sondern mit Gefängnis erledigt. Beim 74-jährigen Peter Baumann reichen hiefür 4 Jahre. Wie gnädig!

Die im Verfahren gegen Peter Baumann betriebene Justizwillkür ist für ihn und viele seiner Freunde unfassbar. Auch ich - seit 20 Jahren an tägliche politische Justizwillkür gewohnt (siehe www.vgt.ch/justizwillkuer) - habe lange nicht glauben können, dass das Bundesgericht diesen extremen Fall von Willkür und Unrecht absegnen könnte. Ich bin eines Besseren belehrt worden und anhaltend schockiert: man darf offensichtlich im Unrechtsstaat Schweiz nie denken, die Willkür könne ein gewisses Mass nicht sprengen und kleine Unregelmässigkeiten gäbe es halt überall. In keinem Fall darf man denken: "Das geht nun wirklich zu weit, das ist zu krass, das ist in der Schweiz nicht möglich."  In Sachen Justizwillkür scheint tatsächlich alles möglich, wenn es um Glaubensfragen geht - politische oder religiöse. Die Inquisition ist noch nicht überwunden.

Am 17. Februar des Jahres 1600 wurde der junge italienische Mönch Giordano Bruno, der es wagte, die überlieferten Lehren der katholischen Kirchen anzuzweifeln, nach acht Jahren Folterhaft auf dem Scheiterhaufen in Rom ermordet. Aufrecht und ohne widerrufen zu haben schritt er zum Scheiterhaufen und wurde zum Symbol des Kampfes für die Freiheit des Geistes. ("Giordano Bruno - ein Kämpfer für die Freiheit des Geistes", von Annie Besant und Peter Michel, Aquamarin Verlag, ISBN 3-89427-138-8. Ein spannendes kleines Büchlein.) Die inneren Analogien zum Fall Peter Baumann sind erschreckend. Peter Baumann glaubt an die individuelle Freiheit zum Sterben. Dafür muss er büssen.

Das Inquisitionsurteil gegen Peter Baumann hat keinen Aufschrei ausgelöst, genau so wenig wie das gegen Giordano Bruno. Das kommt dann später, in den Geschichtsbüchern, wenn es nicht mehr gefährlich ist, sich über ein höchstrichterliches Urteil zu empören. Die politische Angst geht um in der Schweiz. Die Angst, nicht "politisch korrekt", sprich: nicht angepasst genug, zu sein und darum ausgegrenzt und diskriminiert zu werden, das Ansehen, die sozial Geltung und den Job zu verlieren. Inquisitionsprozesse lösen deshalb genauso wenig wie früher einen Aufschrei aus. Jeder schaut nur feige für sich, auf dass ihm solches nicht selber passiere. Anpassertum hat Freiheitskampf verdrängt. Sogar EXIT ist ängstlich auf Distanz gegangen und hat dieses unerhörte Skandal-Urteil vorsichtig-milde als "fragwürdiges Urteil" bezeichnet. Das ist gerade noch knapp politisch korrekt. Fragwürdig? An diesem Urteil ist nichts fragwürdig. Völlig klares, himmelschreiendes Unrecht, ist das.

Der Fall Baumann wird als Schandfleck in die Geschichte eingehen, und eine aufgeklärte spätere Generation wird davon mit so ungläubiger Schauer Kenntnis nehmen, wie die heutige Generation von dem Hexenprozess-Justizmord an der Dienstmagd Anna Göldin. Sie wurde beseitig, weil sie sonst eines Tages erzählen könnte, was ihr  einflussreicher Dienstherr mit ihr getrieben hatte. Sie wusste zuviel. Sie wusste, was niemand erfahren sollte. Auch Peter Baumann weiss zuviel, weiss, dass ein Suizid mit Helium einfach möglich ist und als eine friedliche, sanfte Erlösung erlebbar ist. Das passt den christlichen Heuchlern nicht, welche mit ihrem an das Kreuz genagelten Jesus das Leiden als gottgefällig verherrlichen und diesen perversen Glauben auch allen anderen aufzwingen wollen - wenn nötig eben mit Inquisitionsprozessen. Das Leben - ist zu "kostbar", als dass man es freiwillig beenden dürfte, auch wenn dieses "Leben" nur noch ein leidvolles Dahinsiechen ist. Ganz anders sehen diese religiösen Fanatiker das Leben unserer nichtmenschlichen Brüder und Schwestern. Das kann nicht oft genug betont werden: Während diese Christen dem menschlichen Individuum das Recht absprechen, sein Leben zu beenden, sprechen sie allen nichtmenschlichen Wesen, die leben möchten, das Lebensrecht ab. Massenabschlachtungen sind für sie OK. Tiere haben in den Augen dieser religiös verblendeten Katholiken keine Seele.

Am 2. November 2009 schrieb ich Peter Baumann: "Hochgeschätzter Herr Dr Baumann. In meinen 20 Jahren als Präsident des VgT haben mich Gerichtsurteile immer wieder fast erschlagen, gelähmt und sprachlos gemacht. Das Gefühl des Unfassbaren, der Machtlosigkeit, des Ausgeliefertseins ergriff mich immer wieder. Im Laufe der Jahre ist das seltener geworden. Nicht weil die Willkür abgenommen hätte, sondern weil ich lernte, damit rational umzugehen. Ihre Verurteiltung zu vier Jahren Gefängnis, obwohl Sie nichts Rechtswidriges getan haben, hat meinen Gerechtigkeitssinn wieder mit voller Wucht getroffen. Nach Überwindung der ersten Wut und Lähmung habe ich mich entschlossen, den Fall mit meinen Möglichkeiten publik zu machen und auf der vielbesuchten Website des VgT nachhaltig zu dokumentieren. Das wird Ihnen nicht viel helfen, aber mehr kann ich leider nicht tun. Es ist das Wenige, das ich mir zur Regel gemacht habe: Das Unrecht wenigstens sichtbar zu machen, öffentlich zu dokumentieren, Geschichtsschreibung zu betreiben - im traurigen Bewusstsein, dass solche Verbrechen des Staates immer erst von nachfolgenden Generationen - die daran nichts mehr ändern können - beklagt und verurteilt werden. Aber was sonst kann ich tun? Gibt es noch eine andere als diese bescheidene Alternative zum Amoklaufen, das auch nichts nützen würde? In einer Welt wo Feigheit und Egoismus den Ton angibt, ist guter Rat teuer."

 
Die Website des Vereins "Suizidhilfe: www.suizidhilfe.ch

Das Buch "Suizid und Suizidhilfe" von Peter Baumann Taschenbuch, erschienen bei Books on Demand, 320 Seiten, CHF 36.80. ISBN 978-3-8334-8215-1. Bei Online-Bestellung (www.bod.ch) ist es um das Porto, Fr. 10.--, teurer, als wenn man es in der Buchhandlung holt.

 

Chronologie eines modernen Hexenprozesses

2003-02-18  Sterbehilfe

2007-07-07  Die neue Inquisition:  Gefängnis für den Sterbehelfer Dr Peter Baumann

2009-06-25  Teuflische Inquisitoren am Schweizerischen Bundesgericht: Suizidhelfer Peter Baumann muss 4 Jahre ins Gefängnis

2009-10-29  Rundbrief von Peter Baumann

2010-02-18 Peter Baumann begnadigt

 


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