Tier-KZ-Prozess

23. Oktober 2006

Beschwerde an die Anklagekammer des Kantons Thurgau

Beschwerde von Dr. Erwin Kessler gegen die von Staatsanwalt Riquet Heller erlassene Verfügung betreffend Gewährung der Rechtshilfe an den Kanton Genf

Anträge:

1. Die Verfügung von Staatsanwalt Heller vom 17. Oktober 2006 sei aufzuheben;

2. Es seien sämtliche Amtshandlungen von Staatsanwalt Heller in der Angelegenheit "Rechtshilfe an den Kanton Genf in Sachen Erwin Kessler" seit dem Ausstandsgesuch vom 16. Oktober 2006 ungültig zu erklären, insbesondere seine Verfügung vom 17. Oktober 2006 betreffend Bewilligung des Gesuches des Genfer Untersuchungsrichters Malfanti um zwangsweise Zuführung von Erwin Kessler in den Kanton Genf.

3. Es seien die Verfahrensakten aus Genf beizuziehen und dem Beschwerdeführer zur Einsicht zuzustellen unter Fristansetzung zur eventuellen Ergänzung der Beschwerde.

Begründung:

Prozessuales:

Mit Schreiben vom 23. Oktober 2006 ersuchte der unterzeichnete Rechtsanwalt den zuständigen Genfer Untersuchungsrichter Malfanti um Zusendung der Verfahrensakten, um die Nicht-Anwendung von Art. 352 Abs. 2 StGB durch Staatsanwalt Heller zusätzlich belegen zu können. Mit Schreiben vom gleichen Tag (Eingang am 27. Oktober 2006, da mit B-Post versandt), verweigerte Untersuchungsrichter Malfanti die beantragte Aktenzusendung mit der Begründung, es habe noch keine Beschuldigung stattgefunden.

In der Zeitung LeMatin Suisse vom 27. Oktober 2006 (S. 11) wird Untersuchungsrichter Malfanti zitiert, er habe beschlossen, Erwin Kessler der Rassendiskriminierung zu beschuldigen ("…d’inculper Erwin Kessler…").

Vor diesem Hintergrund verhält sich Untersuchungsrichter Malfanti rechtsmissbräuchlich, wenn er die Akteneinsicht verweigert mit der Begründung, es habe noch keine Beschuldigung stattgefunden.

Mit Blick auf die von Art. 6 EMRK garantierte wirksame Verteidigung stellt im übrigen die noch nicht eröffnete Beschuldigung keinen Grund dar, die Akteneinsicht zu verweigern, wenn bereits Zwangsmassnahmen ergriffen wurden (Hausdurchsuchung und Beschlagnahmung) und weitere angedroht sind (Zwangsvorführung). Die Akteneinsicht darf nur verweigert werden, wenn dadurch der Untersuchungszweck gefährdet würde, was vorliegend nicht der Fall ist und von Untersuchungsrichter Malfanti auch nicht behauptet wird. Die Verweigerung der Akteneinsicht aus bloss formalistischen Gründen ist menschenrechtswidrig.

Der Beschwerdeführer beantragt der Anklagekammer daher den Beizug der Verfahrensakten aus Genf, denn ohne den Sachverhalt zu kennen, gestützt auf welchen Erwin Kessler vom Kanton Genf wegen angeblicher Rassendiskriminierung verfolgt werden soll, kann nicht pflichtgemäss-objektiv entschieden werden, ob im vorliegenden Fall von der Möglichkeit von Art. 352 Abs. 2 StGB Gebrauch zu machen ist, die Auslieferung also zu verweigern ist. Bereits Staatsanwalt Heller hätte die Verfahrensakten aus Genf beiziehen sollen, bevor er verfügte, dass "kein Grund besteht, von Art. 352 Abs. 2 StGB vorliegendenfalls Gebrauch zu machen".

Sachverhalt:

Am 16. Oktober 2006 wurde Staatsanwalt Heller ersucht, infolge Befangenheit im Sinne von § 32 Ziff 6 StPO in den Ausstand zu treten. Staatsanwalt Heller hat darauf dergestalt reagiert, dass er mit Verfügung vom 17. Oktober 2006 nicht nur seine Ausstandspflicht verneint hat, sondern sogleich das Gesuch von Untersuchungsrichter Malfanti um zwangsweise Zuführung von Erwin Kessler nach Genf bewilligt und das Bezirksamt Münchwilen mit der Durchführung dieser zwangsweisen Zuführung beauftragt hat.

Beschwerdegründe:

Befangenheit von Staatsanwalt Heller

Staatsanwalt Heller hätte sich vom Zeitpunkt des Eingangs des Ausstandsgesuches am 16. Oktober (per Fax) jeglicher Amtshandlung in dieser Angelegenheit enhalten müssen (vgl Zweiderl: "Die Praxis der Thurgauer StPO", N 2 zu § 33; ebenso Hauser/Schweri: "Schweizerisches Strafprozessrecht", 6. Auflage, Rz 3 zu § 31). Seine Verfügung vom 17. Oktober ist daher ungültig, unabhängig davon, ob der Präsident der Anklagekammer die streitige Ausstandspflicht bejahen oder verneinen wird.

Willkürliche Entscheidung in eigener Sache

Hinzu kommt, dass die Abweisung des Ausstandsbegehrens einzig und allein in der Kompetenz des Präsidenten der Anklagekammer liegt und sicher nicht in der Kompetenz des betroffenen Beamten selber. Staatsanwalt Heller hätte, wenn nicht einverstanden mit dem Ausstandsgesuch, dieses an den Anklagekammer-Präsidenten zur Entscheidung weiterleiten müssen. Indem er sich anmasste, selber darüber zu verfügen, ist er in Rechtsverweigerung und Willkür verfallen. Die angefochtene Verfügung ist deshalb auch aus diesem Grund aufzuheben.

Verletzung des rechtlichen Gehörs

Im Schreiben an das Bezirksamt Münchwilen vom 22. September 2006 hat der Beschwerdeführer (Erwin Kessler, BF) vorsorglich mehrere Gründe aufgezeigt, welche für eine Verweigerung der Zuführung nach Genf sprechen. In der angefochtenen Verfügung ist die Staatsanwaltschaft mit keinem Wort darauf eingegangen und hat stattdessen willkürlich behauptet, es lägen keine Gründe für eine Anwendung von Art. 352 Abs. 2 StGB vor. Damit wurde das rechtliche Gehör verletzt, was zwangsläufig die Aufhebung der Verfügung nach sich zieht. Gemäss ständiger Praxis und Lehre kommt es bei Verletzungen des rechtlichen Gehörs nicht darauf an, ob die Gewährung den Entscheid beeinflusst hätte oder nicht. Die angefochtene Verfügung ist auch aus diesem Grund aufzuheben.

Willkürliche Nichtanwendung von StGB 352 trotz offensichtlich rechtsmissbräuchlichem Gesuch um rechtshilfeweise Zuführung

Der BF wird im Kanton Genf eines politischen Pressedeliktes beschuldigt. Der Kanton Genf hat deshalb den Kanton Thurgau um zwangsweise Zuführung des BF nach Genf ersucht. Mit der angefochtenen Verfügung wurde dieses Rechtshilfegesuch bewilligt.

Gemäss Art. 352 Abs. 2 StGB darf ein Kanton einem anderen Kanton die Zuführung des Beschuldigten bei politischen oder Mediendelikten verweigern. Weder dem Gesetz noch Praxis und Lehre können soweit ersichtlich konkrete Entscheidungs-Kriterien für die Anwendung von Art. 352 Abs. 2 StGB bei (politischen) Mediendelikten entnommen werden. Das Willkürverbot von BV 9 verbietet aber in jedem Fall die willkürliche Anwendung gesetzlicher Bestimmung; darunter fällt auch die willkürliche Nichtanwendung.

Laut ständiger Praxis des Bundesgerichtes liegt Willkür u.a. vor, wenn Ermessen nach unmassgeblichen Gesichtspunkten ausgeübt wird oder wenn ein Entscheid von Erwägungen geleitet ist, die offensichtlich nicht massgebend sind. Dies ist vorliegend der Fall:

Wie Staatsanwalt Heller dem Verteidiger von Erwin Kessler am 13. Oktober 2006 telephonisch in abschätzig-spöttischem Ton mitteilte, wolle er Erwin Kessler nicht durch Verweigerung der Auslieferung eine weitere unliebsame Medienplattform im Thurgau bieten. Diese Absicht von Staatsanwalt Heller, Erwin Kessler keine Medienplattform zu ermöglichen, stellt einen unsachlichen, nicht rechtsrelevanten Grund dar, um angesichts des offensichtlichen Rechtsmissbrauchs des Genfer Kollegen die Auslieferung gestützt auf Art. 352 Abs. 2 StGB nicht zu verweigern. Staatsanwalt Heller hätte bei pflichtgemässem, unvoreingenommenen Vorgehen die Genfer Akten anfordern und sich darüber informieren müssen, um was es überhaupt geht, denn es liegt eben gerade kein Fall vor, wo die Rechtshilfe blindlings zu gewähren ist. Indem er sich bei seinem Entscheid von unmassgeblichen (persönlichen bzw. politischen) Gründen hat leiten lassen, ist er in Willkür verfallen.

Anlässlich des erwähnten Telefonates zwischen Staatsanwalt Heller und dem Verteidiger vom 13. Oktober 2006 begründete Heller seine a-priori-Weigerung, in casu von Art. 352 Abs. 2 StGB Gebrauch zu machen, auch damit, dieser Artikel gehe auf den Sonderbundskrieg zurück und habe heute keine Bedeutung mehr. Indessen liegt es am Gesetzgeber, überholte Gesetzesbestimmungen abzuschaffen.

Die Absätze 2 und 3 von Art. 352 StGB wurden anlässlich der Revision des Medienstraf- und Verfahrensrechts 1997 revidiert und sind in der entsprechend geänderten Fassung am 1. April 1998 in Kraft getreten. In seiner Botschaft vom 17. Juni 1996 zur Revision des Medienstraf- und Verfahrensrechts, BBl 1996 IV 525, kommentierte der Bundesrat Art. 352 Abs. 2 und 3 StGB wie folgt (S. 567):

"Die neue Fassung von Artikel 352 enthält begriffliche Änderungen in den Absätzen 2 und 3, indem nämlich der Geltungsbereich dieser Absätze auf alle Medien ausgedehnt wird. So betrifft die Ausnahme vom Grundsatz der gegenseitigen Rechtshilfe zwischen den Kantonen die «durch eine Veröffentlichung in einem Medium begangenen Verbrechen und Vergehen» und nicht mehr allein die «durch das Mittel der Druckerpresse begangenen» Straftaten.

Artikel 352 StGB stützt sich bekanntlich auf Artikel 67 der Bundesverfassung, wonach die Auslieferung für politische Vergehen und für Pressevergehen nicht verbindlich gemacht werden kann. Dieses Recht der Kantone, die Rechtshilfe bei Pressedelikten zu verweigern, ist ein Relikt aus der Zeit des Sonderbundskrieges; es wird wahrscheinlich im Zuge der Totalrevision der Bundesverfassung aufgehoben werden. Gegebenenfalls wird später über eine Beibehaltung der entsprechenden Vorschriften im StGB zu befinden sein."

Weder im Rahmen der Totalrevision der Bundesverfassung noch im Rahmen der umfassenden, am 1.1.2007 in Kraft tretenden Änderung des Allgemeinen Teils des StGB – in welcher auch der gesamte Besondere Teil des StGB einer Erneuerung u.a. dahingehend unterzogen wurde, als Bestimmungen, die als entbehrlich erachtet wurden, aufgehoben worden sind, so die Art. 172, 295 und 326 – kam es jedoch zu einer Aufhebung von Art. 352 Abs. 2 und 3 StGB, so dass die Art. 352 Abs. 2 und 3 StGB nach wie vor geltendes Recht sind und ab dem 1.1.2007 neu Art. 356 Abs. 2 und 3 StGB sein werden.

Es liegt nicht in der Kompetenz eines Justizbeamten, Art. 352 Abs. 2 StGB faktisch abzuschaffen, weil er entgegen dem Bundesgesetzgeber meint, dieser sei überholt. Indem Staatsanwalt Heller dies dennoch tat, ist er in Willkür verfallen.

Falls Art. 352 Abs. 2 StGB überhaupt einen Sinn haben soll - und davon hat die rechtsanwendende Behörde auszugehen, zumal dieser Artikel wie erwähnt unverändert in das kürzlich umfassend revidierte StGB übernommen worden ist - dann zweifellos den, dass eine Zuführung in einen anderen Kanton verweigert wird, wenn das Rechtshilfegesuch (aus politischen Gründen) rechtsmissbräuchlich erfolgt.

Sollte die Anklagekammer diese Ansicht wider Erwarten nicht teilen, erwartet der BF eine Begründung, welchen anderen Anwendungsfällen von Art. 352 Abs. 2 StGB dienen soll.

Im folgenden wird dargelegt, wie das Rechtshilfegesuch aus Genf rechtsmissbräuchlich gestellt worden ist.

Sachverhalt:

Mit Schreiben vom 8. Mai 2006 an die Thurgauer Staatsanwaltschaft ersuchte ein Genfer Untersuchungsrichter den Kanton Thurgau um rechtshilfeweise Hausdurchsuchung des VgT-Redaktionsbüros und um Beschlagnahme allfälliger restlicher Exemplare der in der Westschweiz, unter anderem im Kanton GE, verbreiteten Zeitschrift ACUSA-News vom April 2006. Diese Zwangsmassnahme wurde von der Thurgauer Polizei am 16. Mai 2006 durchgeführt; es wurde das Archiv-Exemplar der fraglichen Ausgabe der ACUSA-News beschlagnahmt.

Mit schriftlicher Vorladung vom 9. Juni 2006 (mandat de comparution) wurde der BF aufgefordert, in Genf zur Einvernahme als Angeschuldigter zu erscheinen. Die Vorladung war nicht unterschrieben (auch kein Stempel) und enthielt keine Rechtsmittelbelehrung und auch keine Androhung von Zwangsmassnahmen für den Fall des Nichterscheinens.

Mit Schreiben vom 18. August 2006 annulierte der Genfer Untersuchungsrichter die Vorladung vom 9. Juni 2006 und erliess am 25. August 2006 eine neue Vorladung im gleichen Stil wie diejenige vom 9. Juni 2006 auf den 25. September 2006. Die Vorladung war in Französisch abgefasst. Am 30. August 2006 erhielt der BF die gleiche Vorladung nochmals - je in Französisch und in Deutsch.

Mit Schreiben vom 30. August 2006 teilte der BF dem Genfer Untersuchungsrichter mit, er verweigere die Aussage und er beantrage eine rechtshilfeweise Einvernahme in seinem Wohnbezirk Münchwilen.

Dieser Antrag wurde vom Genfer Untersuchungsrichter ignoriert. Am 22. September 2006 erhob der BF deshalb bei der Anklagekammer des Kantons Genf Rekurs wegen Rechtsverweigerung und Willkür mit folgenden Anträgen:

Die Mandat de Comparution vom 25. August 2006 sei aufzuheben;

der juge d'instruction sei anzuweisen, den Angeschuldigten rechtshilfeweise in seinem Wohnbezirk einvernehmen zu lassen;

evtl vor allfälligen Zwangsmassnahmen sei über das Gesuch um rechtshilfeweise Einvernahme im Wohnbezirk des Angeschuldigten vom 30. August 2006 zu entscheiden;

es sei dem Angeschuldigten ein amtlicher Verteidiger beizustellen.

Im erwähnten Rekurs wies der BF auch darauf hin, dass die örtliche Zuständigkeit klarerweise nicht in Genf liege, und begründete dies wie folgt:

"Die inkriminierte Ausgabe der ACUSA-News vom April wurde am Sitz der Redaktion gemäss Impressum (Tuttwil/TG) verfasst. Der Druck- und Versandauftrag erfolgt ebenfalls von Tuttwil aus (Sitz auch des Verlages). Die ACUSA-News wurde in allen Westschweizer Kantonen verbreitet (GE ist nicht speziell betroffen). Die örtliche Zuständigkeit liegt ganz klar im TG. Das Verfahren ist früher oder später an den TG abzutreten."

Gleichentags schickte der BF dem vom Genfer Untersuchungsrichter um Rechtshilfe angegangenen Bezirksamt Münchwilen eine Kopie dieses Rekurses und wies im Begleitschreiben informativ auf die Haltlosigkeit der Anschuldigung und auf die Unverhältnismässigkeit der Verweigerung der rechtshilfeweisen Einvernahme in Münchwilen hin, ferner auch auf den Umstand, dass der inkriminierte Inhalt der ACUSA-News politischer Natur ist, es sich also um ein politisches Mediendelikt, begangen in Tuttwil im Kanton Thurgau, handle, und dass gemäss Art. 352 Abs. 2 StGB ein Kanton einem anderen Kanton die Zuführung eines Beschuldigten bei politischen oder durch eine Veröffentlichung in einem Medium begangenen Verbrechen oder Vergehen verweigern könne. Ein Gesuch um Verweigerung der Auslieferung stellte der BF jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht, behielt sich aber ein solches ausdrücklich vor für den Fall, dass Genf die rechtshilfeweise Einvernahme im TG verweigere und das Verfahren trotz örtlicher Unzuständigkeit weiterführe.

Mit Schreiben vom 25. September 2006 schickte die Anklagekammer den Rekurs an den BF zurück mit der Aufforderung, diesen unverzüglich auf Französisch zu übersetzen. Auf die Begründung im Rekurs, weshalb der BF die deutsche Sprache gewählt hat, wurde mit keinem Wort eingegangen.

Mit Antwortschreiben vom 27. September 2006 auf das Ersuchen um Zuführung nach Genf schlug das Bezirksamt Münchwilen dem Genfer Untersuchungsrichter vor, vorerst den Entscheid der Anklagekammer abzuwarten bzw. den Fall zuständigkeitshalber an den Kanton Zürich abzutreten (wo schon länger ein Verfahren u.a. wegen Rassismus gegen den BF hängig ist).

Mit Antwortschreiben vom 1. Oktober 2006 schickte der BF den Rekurs erneut an die Anklagekammer des Kantons Genf und beantragte die Übersetzung durch einen Dolmetscher.

Mit Entscheid vom 6. Oktober 2006 trat die Anklagekammer des Kantons Genf auf den Rekurs nicht ein, ging auch auf den Antrag auf deutsche Übersetzung nicht ein, schickte dem BF den französischen Rekursentscheid ohne Übersetzung und trat auch auf den Antrag nach einem amtlichen Verteidiger nicht ein - alles ohne jegliche Begründung.

Verletzung des allgemeinen Rechtsgrundsatzes, dass aus einer fehlenden Rechtsmittelbelehrung kein Nachteil entstehen darf

Gemäss Art. 12 des Konkordates über die Rechtshilfe und die interkantonale Zusammenarbeit in Strafsachen (nachfolgend Konkordat genannt) muss eine Vorladung oder ein Vorführbefehl eine Rechtsmittelbelehrung mit Rechtsmittelinstanz und Rechtsmittelfrist enthalten. In casu hat der BF in Ziff. 2 seines Rekurses gerügt, dass die angefochtene Vorladung die vorgeschriebene Rechtsmittelbelehrung nicht enthalte. Insofern die AK GE nun geltend macht, der Rekurs seit verspätet, nach Ablauf der 10-tägigen Rekursfrist, erhoben worden, hat sie den allgemeinen Rechtsgrundsatz verletzt, wonach einem (damals noch nicht anwaltlich vertretenen) BF aus einer fehlenden Rechtsmittelbelehrung kein Nachteil entstehen darf.

Dasselbe gilt, wo die AK GE sinngemäss geltend macht, mit dem Rekurs an die Anklagekammer habe der BF ein unzulässiges Rechtsmittel gewählt.

Rechtsverweigerung durch Nichteintreten auf den Rekurs ohne Überweisung an die zuständige Rechtsmittelinstanz

Anstatt sich mit einem Nichteintretensentscheid zu begnügen, hätte die Anklagekammer die zuständige Rechtsmittelinstanz von Amtes wegen feststellen und den Rekurs zuständigkeitshalber an diese überweisen müssen.

Es kann in einem Rechtsstaat nicht rechtens sein, dass gegen Rechtsverweigerung (Nichtbehandlung des Antrages auf rechtshilfeweise Einvernahme in Münchwilen vom 30. August 2006) und Zwangsmassnahmen (zwangsweise Zuführung von Thurgau nach Genf, zumal Genf offensichtlich unzuständig ist) kein Rechtsmittel existiert.

Rechtsverweigerung durch Nichtbehandlung des Antrages auf rechtshilfeweise Einvernahme in Münchwilen/TG

Die Nichtbehandlung des Begehrens um rechtshilfeweise Einvernahme in Münchwilen vom 30. August 2006 durch den Genfer Untersuchungsrichter stellt eine Rechtsverweigerung dar (das Nichteintreten der Anklagekammer auf diese Rüge stellt eine weitere Rechtsverweigerung dar, auch die Abweisung der staatsrechtlichen Beschwerde gegen diese Rechtsverweigerung stellt eine weitere Rechtsverweigerung dar. Gegen letztere Rechtsverweigerung und Verweigerung des rechtlichen Gehörs ist bereits eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hängig.

Verletzung des EMRK-Anspruches auf eine Übersetzung und Vereitelung einer wirksamen Verteidigung:

Gemäss den Garantien eines fairen Verfahrens nach Art. 6 der Europäischen Menschenrechts-Konvention (EMRK) hat ein Beschuldigter ein Anrecht auf einen unentgeltlichen Dolmetscher sowie das Recht, sich in seiner Sprache verteidigen zu können (Villiger: Handbuch der EMRK, 2. Auflage, Rz 528 und 529; im gleichen Sinne: Jörg Paul Müller: Grundrechte in der Schweiz, 3. Auflage, Seite 145/146 und Ergänzungsband von Markus Schefer Seite 102-104; Niklaus Schmid: Strafprozessrecht, 4. Auflage, N 255 a). Zur Verteidigung gehört auch das Ergreifen von Rechtsmitteln. Das Recht auf Verteidigung in der eigenen Sprache schliesst mit anderen Worten das Recht auf Ergreifung von Rechtsmitteln in der eigenen Sprache ein. Diese Konventionsgarantie geht kantonalrechtlichen (oder auch konkordatsrechtlichen) Verfahrensvorschriften als höherrangiges Recht vor.

Im vorliegenden Fall gewähren jedoch selbst die Bestimmungen des der EMRK untergeordneten Konkordats dem BF das Recht auf einen Dolmetscher/Übersetzer:

Gemäss Art. 5 Ziff. 3 des Konkordats hat ein Beschuldigter, der die Sprache der mit der Sache befassten Behörde nicht versteht, das Recht auf eine Übersetzung. Art. 5 Ziff. 3 des Konkordats setzt ausdrücklich einen "Entscheid" voraus, was auf den angefochtenen Entscheid der Anklagekammer zweifellos zutrifft.

Das Konkordat gewährt jedoch auch für eine Rechtsmitteleingabe das Recht auf eine Übersetzung: Gemäss Art. 13 des Konkordats kann ein Rechtsmittel alternativ zur Sprache der mit der Sache befassten Behörde (Genf, d.h. französisch) ausdrücklich auch in der Sprache des Ortes abgefasst werden, wo der Entscheid vollstreckt wird. Die Vollstreckung der angefochtenen und im Rekursentscheid geschützten Vorladung nach Genf würde am Aufenthaltsort des Beschuldigten, also im deutschsprachigen Thurgau statt-finden.

Wie erwähnt gewährt jedoch Art. 6 EMRK bereits eine Übersetzung, sei es für die Rekurseingabe an die Anklagekammer des Kantons Genf vom 22. September 2006, sei es für den betreffenden Rekursentscheid der Anklagekammer vom 6. Oktober 2006.

Mit Schreiben vom 25. September 2006 verlangte die AK GE, der BF habe seinen Rekurs auf Französisch zu übersetzen. Auf das Gesuch um einen Dolmetscher trat die AK nicht ein mit der Begründung, es werde sowieso nicht materiell auf den Rekurs eingetreten. Der Entscheid wurde dem BF ohne deutsche Übersetzung zugestellt. Diese Verweigerung des Grundrechts auf Verteidigung in der eigenen Sprache stellt eine weitere Rechtsverweigerung dar, mit welcher eine wirksame Verteidigung im Sinne von Artikel 6 EMRK vereitelt wird.

Verletzung des Anspruches auf rechtliches Gehör:

Die Anklagekammer des Kantons Genf hat den Rekurs des BF vom 22. September 2006 mit Schreiben vom 25. September 2006 an den BF zurückgeschickt mit der Aufforderung, diesen unverzüglich in französischer Übersetzung einzureichen. Auf die Begründung im Rekurs, dass der BF die deutsche Sprache gestützt auf Art. 6 EMRK gewählt hat, wurde mit keinem Wort eingegangen, womit die Anklagekammer den Anspruch des BF auf rechtliches Gehör (Begründungspflicht) gemäss Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 EMRK krass verletzt hat.

Verletzung von Vorschriften des Konkordates über die Rechtshilfe und die interkantonale Zusammenarbeit in Strafsachen:

Die Vorladungen des Genfer Untersuchungsrichters enthielten entgegen Art. 12 des Konkordates keine Rechtsmittelbelehrungen.

In der Vorladung des Genfer Untersuchungsrichters vom 30. August 2006 fehlt der von Artikel 8 Ziffer 3 des Konkordates vorgeschriebene Hinweis, dass bei unentschuldigtem Nichterscheinen ein Vorführbefehl erlassen werden kann.

Dies ist umso gravierender, als der Genfer Untersuchungsrichter diesen Vorführbefehl – den er nota bene erlassen hat, bevor über das Gesuch des Beschuldigten um rechtshilfeweise Einvernahme im Thurgau (rechtskräftig) entschieden worden ist – dem BF nicht eröffnete; dieser hat davon nur auf inoffiziellem Weg Kenntnis erhalten.

Die Androhung von Zwangsmassnahmen ist nach Donatsch/Schmid, Kommentar zur Strafprozessordnung des Kantons Zürich, § 49, eine Gültigkeitsvoraussetzung. Das gilt nicht nur im Kanton Zürich. Im übrigen trägt dieses Gesuch des Genfer Untersuchungsrichters weder Unterschrift noch Stempel.

Staatsanwalt Heller hat aufgrund eines ungültigen Zuführungsgesuches die Zwangszuführung bewilligt. Das ist willkürlich.

Eine polizeiliche Vorführung darf im übrigen nur angeordnet werden, wenn der Angeschuldigte ohne ausreichenden Grund der Vorladung nicht nachkommt (Donatsch/Schmid § 49 Rz 24). Vorliegend hatte der Angeschuldigte mehrere Gründe für sein Nichterscheinen: Über die Möglichkeit einer rechtshilfeweisen Einvernahme in Münchwilen ist noch nicht rechtskräftig entschieden und der Kanton Genf ist überhaupt nicht zuständig.

Gemäss KRH 21 muss eine gestützt auf einen Vorführbefehl oder Haftbefehl in einem anderen Konkordatskanton festgenommene Person innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden. Unter Verletzung dieser Bestimmung verdoppelt die StPO GE diese Zeit auf 2 x 24 Stunden - je 24 für die Vorführung und für die Einvernahme. Angesichts des unverhältnismässig langen Transportweges muss deshalb bei Gewährung der verlangten Zwangszuführung im vornherein mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einer die KRH verletzenden Behandlung des BF gerechnet werden. Unter solchen Umständen ist die Nichtanwendung von Art. 352 Abs. 2 StGB willkürlich.

Ein rechtsmissbräuchliches und rechtswidriges Verhalten des ersuchenden Kantons und ernsthafte Zweifel, ob den Beschuldigten im ersuchenden Kanton ein faires und rechtmässiges Verfahren erwartet, sind jedenfalls sachliche Gründe für eine Verweigerung der Auslieferung. Es ist nicht ersichtlich, welchen anderen Gründen diese Bestimmung dienen soll und es darf nicht der blossen subjektiven Sympathie/Antipathie der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Gesuchsteller überlassen bleiben, ob Art. 352 Abs. 2 StGB angewendet wird oder nicht; so etwas hat in einem Rechtsstaat, der diese Bezeichnung verdient, keinen Platz.

Offensichtliche Verletzung der örtlichen Zuständigkeit:

Die AG GE ist auch nicht auf den Hinweis des BF eingegangen, dass der Kanton Genf örtlich nicht zuständig ist, da der Tatort ganz klar in Tuttwil/TG liegt (Geschäftssitz und Redaktionsbüro des VgT). Darauf hat auch das Bezirksamt Münchwilen in seinem Schreiben vom 27. September 2006 an den Untersuchungsrichter vergeblich hingewiesen. Damit verletzen die Genfer Behörden wissentlich und vorsätzlich Artikel 346 sowie Art. 350 StGB, wodurch das Willkürverbot gemäss BV 9 verletzt ist.

Haltlose Anschuldigung:

Die Genfer Strafuntersuchungsbehörden werfen dem BF vor, durch die Verwendung des Begriffs "Tier-KZ" für übelste Hühnerfabriken den Holocaust verharmlost zu haben.

Die Verwendung des Begriffs "Tier-KZ" ist international üblich und verbreitet. Sowohl der jüdische Literatur-Nobelpreisträger Isaac Bashevis Singer wie auch J. M. Coetzee, ebenfalls ein jüdischer Literatur-Nobelpreisträger, benutzen solche Vergleiche und ein kürzlich ergangener, rechtskräftiger Entscheid der Staatsanwaltschaft Winterthur hält fest, dass solche Vergleiche nicht gegen das Rassendiskriminierungsverbot verstossen (www.vgt.ch/id/200-005).

Verletzung des verfassungsrechtlichen Verhältnismässigkeitsprinzips:

Gemäss BV5.2 muss staatliches Handeln verhältnismässig sein. An diesen Grundsatz sind auch Strafuntersuchungsbehörden gebunden.

Das Festhalten des Genfer Untersuchungsrichters an einer zwangsweisen Zuführung des BF und die Verweigerung einer rechtshilfeweisen Einvernahme im Thurgau - nota bene ohne jede Begründung! - ist offensichtlich unverhältnismässig angesichts der Tatsachen, dass

- der BF schriftlich erklärt hat, jede Aussage zu verweigern (Schreiben des BF an den Untersuchungsrichter vom 30.8.06),

- die örtliche Zuständigkeit offensichtlich nicht in Genf liegt und die Sache ohnehin nach Zürich abgetreten werden muss und,

- die Anschuldigung offensichtlich haltlos ist.

Politisch motiviertes Willkürverfahren gegen Erwin Kessler:

Wie dargelegt, wird das Genfer Verfahren unter andauernder Missachtung von Prozessvorschriften, insbesondere auch unter hemmungsloser Missachtung von prozessualen Menschenrechten und Verfassungs-Geboten geführt. Eine haltlose Anschuldigung dient als Vorwand, um den BF mit willkürlichen Zwangsmassnahmen (Hausdurchsuchung, Beschlagnahmung, unverhältnismässige Zwangszuführung) zu schikanieren. Das Bundesgericht hat gerade jüngst in BGE 131 I 350 festgehalten, die Garantien strafprozeduraler Fairness (Art. 31 und 32 BV) bzw. die allgemeine konventionsrechtliche Fairnessgarantie (Art. 6 Ziff. 1 EMRK) garantierten einen Anspruch auf ein faires Strafverfahren und verpflichtet die Behörden zu entsprechendem Verhalten. Unter Verletzung klaren Bundesrechts über die örtliche Zuständigkeit weigern sich die Genfer Behörden, den Fall an die zuständige Staatsanwaltschaft Winterthur abzutreten, weil dort eine sofortige Verfahrenseinstellung zu erwarten ist (vgl den unter Ziffer 6.18.2 erwähnten präjudiziellen Entscheid der Staatsanwaltschaft. Winterthur).

Angesichts des dargelegten Sachverhalts ist es nicht möglich, die offensichtliche Rechtsmissbräuchlichkeit und sogar formelle Ungültigkeit des Rechtshilfegesuches um Zwangszuführung willkürfrei zu bestreiten. Die Nichtanwendung von Art. 352 Abs. 2 StGB durch die Vorinstanz ist deshalb insgesamt willkürlich und der angefochtene Entscheid auch aus diesem Grund aufzuheben.


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