Diskriminierendes Spruchband-Verbot auf Autobahnbrücken

Das Bezirksgericht March (Kanton Schwyz) hat zwei VgT-Aktivistinnen gebüsst, weil sie auf einer Autobahnbrücke eine knappe Stunde lang ein Spruchband ESSEN SIE HEUTE VEGETARISCH - IHRER GESUNDHEIT UND DEN TIEREN ZULIEBE! aufgehalten hatten. Solche Kundgebungen auf Autobahnbrücken seien gestützt auf das Werbeverbot auf Autobahnbrücken generell verboten, behauptet das Bezirksgericht.

Der VgT hat dieses Urteil mit einer Nichtigkeitsbeschwerde an das Kantonsgericht weitergezogen. Grund: Das generelle Kundgebungsverbot ist willkürlich, weil die menschenrechtlich geschützte Demonstrationsfreiheit nicht gleich behandelt werden darf wie unnötige kommerzielle Werbung. Das Kundgebungsverbot ist dadürberhinaus diskriminierend, weil kommerzielle und andere Werbungen an und auf Autobahnen erlaubt sind, welche eindeutig eher geeignet sind, die Verkehrssicherheit zu gefährden. Der VgT hat dies mit einer umfangreichen Fotosammlung belegt.

 Im übrigen ist das angefochtene Urteil auch deshalb willkürlich, weil ohne konkrete Indizien behauptet wird, das Spruchband habe eine Gefahr bedeutet, weil es hätte auf die Autobahn hinunter fallen können. Im Gegensatz dazu wurde im Strafverfahren gegen die Bande von 6 Metzger und Mäster, welche vier Aktivistinnen brutal überfallen und dabei einen Fotoapparat blindlings auf die Autobahn hinunter geworfen hat, eine konkrete Gefährdung verneint.

 

Die Beschwerde an das Kantonsgericht Schwyz im Wortlaut:

9. November 1998                            

An das Kantonsgericht des Kantons Schwyz
6430 Schwyz   

Im Übertretungs-Strafverfahren betreffend SVG, verbotene Werbung auf Autobahnbrücke,
gegen

1. Marcela F...,  9242 Oberuzwil
2. Marlène G ..., 8192 Glattfelden

 erhebe ich hiermit namens und im Auftrag der Angeschuldigten

Nichtigkeitsbeschwerde

gegen die Urteil des Einzelrichters des Bezirkes March vom 27. August 1998, Akten-Nummer ES 98 8 (zugestellt am 28.10.98),
mit den

Anträgen:

Das vorinstanzliche Urteil sei aufzuheben und die Angeschuldigten seien frei zu sprechen,
allenfalls sei die Sache zur Neubeurteilung zurückzuweisen,
unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten der Staatskasse.

Begründung:

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren des Kantonsgerichtes,

 auch diesen Herbst wieder leuchteten die bunten Wälder in faszinierender Pracht und zogen auch die Aufmerksamkeit von Fahrzeuglenkern auf der Autobahn auf sich. Da nach der Logik der Vorinstanz offenbar jede Ablenkung von Fahrzeuglenkern im vornherein eine Verkehrsgefährdung darstellt, so dass gar nicht zu prüfen ist, wie intensiv eine konkrete Ablenkung - hier ein Spruchband auf einer Brücke - ist und wie sie wirkt, sollten Sie konsequenterweise - falls Sie das vorinstanzliche Urteil bestätigen - dafür besorgt sein, dass künftig jeden Herbst alle Wälder entlang von Autobahnen entlaubt werden. Seit dem Vietnamkrieg gibt es für solche Zwecke geeignete chemische Mittel.

 Ferner sollten Sie auch dafür besorgt sein, dass folgende Ablenkungen auf Autobahnen verboten werden: Autoradios, Gespräche mit Mitfahrern, Nachdenken über anderes als die aktuelle Verkehrssituation, ganz abgesehen natürlich vom Telefonieren, das mit Freisprechanlagen weiterhin bei Geschwindigkeiten von 120 km/h auf Autobahnen erlaubt ist.

 Sie mögen diesen Vorschlag für einen unzumutbaren Blödsinn halten, mit dem Sie sich nicht weiter befassen wollen. In einer ähnlichen Situation sehen sich die Angeklagten, welche diese Nichtigkeitsbeschwerde gegen den analogen Blödsinn der Vorinstanz begründen sollten.

 Die Vorinstanz hat mit keinem Wort begründet, warum ein kurzfristig aufgehaltenes Spruchband auf einer Autobahnbrücke eine Ablenkung der Fahrzeuglenker darstellen soll, die derart viel intensiver und problematischer sein soll als andere übliche Einwirkungen (erlaubte Reklame und Wegweiser entlang von Autobahnen, auch auf Brücken, Werbung an Fahrzeugen, landschaftliche und architektonische Besonderheiten etc). Weil somit das vorinstanzliche Urteil nicht substanziell begründet ist, vermögen die Angeklagten darauf auch nicht mit einer wirksamen Verteidigung zu reagieren. Der Fall ist deshalb wegen Verletzung der Begründungspflicht an die Vorinstanz zurückzuweisen.

 Die Vorinstanz hat sich auf eine rein formalistische Auslegung der einschlägigen Verkehrsvorschriften beschränkt und die für Menschenrechtseingriffe notwendige Interessenabwägung nicht vorgenommen. Die Frage einer möglichen Verkehrsgefährdung durch die optische Wirkung des Spruchbandes wurde materiell überhaupt nicht geprüft, sondern nur behauptet. Hierzu wären verkehrspsychologische Überlegungen und Quervergleiche mit erlaubten und tolerierten anderen optischen Einwirkungen notwendig gewesen.

 Seite 10 wird behauptet, die Angeklagten hätten "eine Gefährdung der Verkehrssicherheit auf der Autobahn geschaffen", weil die Fahrzeuglenker abgelenkt worden seien und die nur behelfsmässig befestigten Spruchbänder auf die Autobahn hätten fallen können. Diese Argumentation ist falsch:

 Wie bereits erwähnt stellt nicht jede "Ablenkung" von Fahrzeuglenkern eine Verkehrsgefährdung dar. Sonst müssten sämtliche Wegweiser von den Autobahnen verschwinden, Autoradios und Gespräche mit dem Fahrzeuglenker verboten und Herbstwälder gerodet oder entlaubt werden etc. Von einer Verkehrsgefährdung kann erst bei einer derart intensiven Ablenkung - insbesondere zB plötzliches Erschrecken - der Fahrzeuglenker gesprochen werden, dass eine sichere Fahrweise nicht mehr garantiert ist. Vorliegend gibt es keinerlei Indizien in dieser Richtung. Die konkreten Umstände wurden überhaupt nicht geprüft. Die konkrete Lage der Brücke (Übersichtlichkeit etc) wurde überhaupt nicht in die Erwägungen einbezogen. Es wurde eine angebliche Verkehrsgefährdung einfach behauptet. Das ist willkürlich.

Willkürlich ist auch die Behauptung, die Spruchbänder hätten auf die Autobahn fallen können, weil diese nur "behelfsmässig" befestigt gewesen seien. Behelfsmässig heisst nicht unsicher, sondern vorallem leicht wieder entfernbar. Das sind zwei verschiedene Dinge. Der unterzeichnende Verteidiger der Angeklagten, ausgebildeter Ingenieur und Doktor der technischen Wissenschaften, war lange Zeit als Prüfexperte auf dem Gebiet der Befestigungstechnik im Bauwesen tätig. Es gibt lösbare und nicht lösbare Befestigungen, provisorische (im Bauzustand) und dauerhafte (witterungsbeständige). Bauzustände mit nur provisorischen Befestigungen müssen genau gleich sicher sein wie der Endzustand; man geht auch im Bauzustand keine Risiken ein. Nach der Logik der Vorinstanz müssten alle Bauunternehmungen, welche auf Baustellen schwere Lasten behelfsmässig befestigen wegen Gefährdung des Lebens von Bauarbeitern verfolgt werden, und zwar - wie vorliegend - ohne zu prüfen, ob die Sicherheit ausreichend ist oder nicht! Das ist natürlich absurd.

Der Verteidiger ist auch Segler. Im Segelsport gibt es bekanntlich eine ausgefeilte Knotentechnik. Da Segelbote oft nur behelfsmässig, kurzfristig vertaut werden, gibt es zahlreiche leicht lösbare Knoten, die aber trotzdem sicher sind gegen ein unfreiwilliges Selbstlösen. So wurden auch die inkriminierten Spruchbänder behelfsmässig am Brückengeländer befestigt. Neben einer im Ernst nicht bestreitbaren Sicherheit einer behelfsmässigen, aber gekonnten Verknotung kommt im vorliegenden Fall dazu, dass die Angeklagten unmittelbar bei den Spruchbändern standen und hätten eingreifen können, wenn sich die Verknotung gelöst hätte. Ein Spruchband, dessen Befestigung sich löst, beginnt zu flattern und fällt nicht plötzlich wie ein Stein herunter. Auch diese Umstände hat die Vorinstanz willkürlich nicht gewürdigt.

 Es kommt offensichtlich nicht darauf an, ob etwas behelfsmässig oder dauerhaft befestigt ist, sondern wie sicher die Befestigung während ihrer Funktionszeit ist. Letzteres hat die Vorinstanz überhaupt nicht geprüft, die Angeklagten bzw deren Verteidiger dazu gar nicht angehört, sondern einfach behauptet, die Spruchbänder hätten herunterfallen können. Da nichts dergleiches erwiesen ist, stellt diese Behauptung eine willkürliche Beweiswürdigung dar, die zudem unter Verweigerung des rechtlichen Gehörs zustande gekommen ist.

 Bestritten wird, dass die vorinstanzliche Auslegung von Artikel 6 SVG sowie von Artikel 95, 96 und 99 SSV generell auch für Kundgebungen gelten. Die vorinstanzliche Auslegung ist hinsichtlich der Demonstrationsfreiheit nicht menschenrechtskonform (EMRK Artikel 11). Die Ausführungen dazu im angefochtenen Entscheid haben diesbezüglich keine neuen Gesichtspunkte ergeben.

 Die Vorinstanz hat sich mit der Frage einer EMRK-konformen Auslegung der einschlägigen Vorschriften unter Berücksichtigung der Demonstrationsfreiheit nicht überzeugend auseinandergesetzt, sondern ist von falschen Vorurteilen ausgegangen.

Vorurteil 1:

Wenn Grundrechte (hier: Demonstrationsfreiheit) durch ein Gesetz oder eine Verordnung eingeschränkt seien, brauche es im konkreten Fall keine Interessenabwägung mehr.

 Dies ist gleich doppelt falsch: Erstens verlangt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) für Grundrechtseingriffe nicht nur eine gesetzliche Grundlage sondern auch eine konkret zwingende Notwendigkeit in jedem Einzelfall. Zweitens gibt es kein Gesetz, das Kundgebungen auf Autobahnbrücken generell verbietet; ein solches Verbot wurde von der Vorinstanz nur in Reklameverbote hineininterpretiert.

 Vorurteil 2:

Alles, was geeignet sei, Fahrzeuglenker abzulenken, stelle bereits eine konkrete Verkehrsgefährdung dar.

Dass diese Auffassung absolut haltlos ist, wurde oben bereits exemplarisch aufgezeigt. Nicht jede Ablenkung ist gefährlich. Fahrzeuglenker werden dauernd durch irgendetwas abgelenkt: Landschaftliche Besonderheiten, Verkehrssignale, Wegweiser, Gespräche, Zigaretten, Autoradio oder auch nur gedankliches Abschweifen vom bewussten Fahren. Ein Fahrzeuglenker auf einer geraden, monotonen Autobahnstrecke braucht nicht seine volle Aufmerksamkeit, um sein Fahrzeug sicher zu lenken. Deshalb sind die oben erwähnten kleinen Ablenkungen ja auch nicht verboten. Eine Verkehrsgefährdung entsteht erst, wenn die Ablenkung eine übermässige Intensität annimmt, welche für die Verkehrssicherheit nicht mehr genügend Aufmerksamkeit übrig lässt. Dazu gehören insbesondere Erschrecken oder Ablenkung des Blicks aus der Fahrrichtung (zB himmelwärts, seitwärts, rückwärts oder auf den Boden des Fahrzeuges). Dies ist im vorliegenden Fall eines Spruchbandes an einem Brückengeländer aber gerade nicht der Fall: Das Spruchband am Brückengeländer erscheint im normalen, verkehrsgerechten Blickwinkel des Fahrzeuglenkers. Dieser lässt den übrigen Verkehr deshalb nicht aus den Augen.

 Das gebüsste Spruchband unterscheidet sich hinsichtlich Ablenkung der Fahrzeuglenker nicht entscheiden von Werbebeschriftungen auf und an Autobahnen massenhaft, die in der Schweiz von den Behörden erlaubt oder geduldet werden, wie die beiliegenden Fototafeln zeigen:

Fototafel 1: Aggressive kommerzielle Werbung entlang von Autobahnen und geduldete Graffitis an Lärmschutzwänden, die über Monate und Jahre nicht entfernt werden:

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Fototafel 2: Oben: Tafel-Wald aus Wegweisern. Unten: Erlaubte kommerzielle Werbung direkt an der Autobahn, welche die Aufmerksamkeit der Fahrzeuglenker in gefährlicher Weise seitwärts (!) ablenken, im Gegensatz zum gebüssten Spruchband, welches die Aufmerksamkeit der Fahrzeuglenker nicht von der Fahrtrichtung ablenkte:

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Fototafeln 3 bis 4: Erlaubte auffällige, grelle Werbebeschriftungen von Fahrzeugen:

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Fototafel 5 und 5A: Vom Staat selbst angebrachte Spruchbänder an Brücken (!): "Gleich wird's eng. Keep cool." und "Geschafft! Gute Weiterfahrt." Für Engpässe gibt es ein offizielles Signal. Spruchbänder wie hier sind überflüssig und haben nicht mehr Berechtigung als das gebüsste Spruchband, lenken die Fahrer nicht weniger vom Verkehrsgeschehen ab, sind aber nicht nur eine knappe Stunde, sondern über Monate angebracht:

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Die auffällige, amtliche orangene Tafel an der Brücke (!) enthält den langen, unnötigen Text: "Baudepartement. Abteilung Tiefbau. Belagserneuerung. Verkehrsbehinderungen 20. April 98 bis Nov. 98. Wir bauen für ihre Sicherheit. Vielen Dank für Ihr Verständnis." Solche Informationen, die hauptsächlich der Selbstdarstellung des Baudepartementes dienen und in keiner Weise der Verkehrsregelung, können geradesogut in den Medien verbreitet werden. Sie haben jedenfalls nicht mehr Berechtigung auf der Autobahn als ein Spruchband, das unter dem Schutz der Demonstrationsfreiheit nur eine knappe Stunde an einer vergleichbaren Stelle aufgehalten wird.

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Die Aufnahme der nachgestellten Kundgebung mit dem gebüssten Spruchband  rechts unten) zeigt im Vergleich mit den amtlichen Spruchbändern und Tafeln an Brücken keinen erkennbaren Unterschied hinsichtlich der Ablenkung der Fahrer:

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Fototafel 6: Erlaubte, vom Staat selbst angebrachte Tourismus-Werbung direkt an der Autobahn: "Glarnerland. Ferien- und Wanderland." :

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Erlaubte aufdringliche, nicht durch Grundrechte geschützte kommerzielle Werbung direkt seitlich der Autobahn. Im Gegensatz zum gebüssten Spruchband wird die Aufmerksamkeit der Fahrzeuglenker in gefährlicher Weise seitlich von der Fahrtrichtung abgelenkt.

Grelle amtliche Tafel an einer Brücke: "In 77 Tagen: 91 Kontrollen, 11'350 Anzeigen, 87 Ausweisentz. Korrektes Fahren lohnt sich!" Solche verkehrserzieherischen Informationen sind nicht standortgebunden auf der Autobahn. Lediglich das Interesse, möglichst viele Autofahrer zu erreichen, gilt gleichermassen auch für die Beschwerdeführer, die mit ihrem Appell "ESSEN SIE HEUTE VEGETARISCH ..." auch möglichst viele Autofahrer erreichen wollten, die an diesem späten Sonntagabend gerade im Begriff waren, zum Nachtessen nach Hause zu fahren:

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Fotofafel 7 und 8: Erlaubte Werbung des "Bundes für Unfallverhütung" (BfU) direkt an Autobahnen, auf Autobahn-Brücken und sogar an kritischen Stellen bei Autobahn-Einfahrten (!), wo die Fahrzeuglenker meistens ihre volle Aufmerksamkeit benötigen. Diese Tafeln, die mindestens ein Jahr lang in der ganzen Schweiz entlang von Autobahnen aufgestellt wurden, enthalten zudem den ziemlich dämlichen Spruch "Setzen Sie Zeichen". Eine derart allgemeine verkehrserzieherische Kampagne, die keinerlei Standortgebundenheit auf Autobahnen aufweist, könnte geradesogut in den Medien, zB als Werbespots, verbreitet werden. Dadurch, dass solche Kampagnen des BfU auf Autobahnen vom Staat erlaubt werden, eine einmalige kurze Kundgebung des Beschwerdeführers jedoch nicht, obwohl diese offensichtlich weit weniger geeignet ist, die Verkehrssicherzeit zu gefährden, als die massenhaft an verkehrskritischen Stellen aufgestellten Werbungen des BfU, stellt eine unzulässige Diskriminierung dar (Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention EMRK):

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Nach Praxis des EGMR dürfen Grundrechte nicht rein abstrakt, ohne Beachtung der konkreten Umstände eingeschränkt werden.

 Die Vorinstanz hat es unterlassen, sich mit den konkreten Umständen der fraglichen Kundgebung zu befassen. Statt dessen hat sie eine Verkehrsgefährdung rein abstrakt und erst noch in grundsätzlich unhaltbarer Weise einfach willkürlich behauptet.

 Das Urteil verletzt die Demonstrationsfreiheit zudem in diskriminierender Weise (EMRK Artikel 14 in Verbindung mit Artikel 11), indem andere Arten von Werbungen, welche die Aufmerksamkeit seitwärts oder an kritischen Stellen, zB bei Autobahneinfahrten ablenken und nicht einmal unter dem Schutz der Menschenrechtsgarantien stehen, erlaubt bleiben. Dazu gehören erlaubte Grossreklamen längs Autobahnen. Die Fototafeln in der Beilage zeigen Beispiele. Dazu gehören aber auch verkehrserzieherische Plakate des Bundes für Unfallverhütung (BfU) an Brücken (!) sowie bei Autobahnein- und Ausfahrten, also an Stellen, wo die Aufmerksamkeit der Fahrzeuglenker ganz besonders geschützt werden müsste:

Fototafel 8:

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Fototafel 9:   

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Fototafel 10:       

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Kürzlich sind Abstimmungswerbungen gegen die Kleinbauern-Initiative (VKMB) und gegen die Leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe (LSVA) entlang von Autobahnen von den Behörden während Wochen grosszügig toleriert worden.

Dass die vorliegend gebüsste Kundgebung die optische Wirkung all dieser erlaubten Autobahnwerbungen keineswegs übersteigt, zeigt die nachgestellte Aufnahme auf Fototafel 5 im vergleich mit erlaubter Werbung auf und an Autobahnen. Darüberhinaus dauerte die Kundgebung im Gegensatz zu diesen erlaubten Langzeitwerbungen nur gerade eine knappe Stunde, was ihren Beitrag zu unerwünschten Ablenkungen zusätzlich relativiert.

Gemäss Praxis des EGMR dürfen die Grundrechte nur eingeschränkt werden, wenn dazu eine zwingende Notwendigkeit besteht. Davon kann im vorliegenden Fall nicht die Rede sein. Für die geltend gemachte Verkehrsgefährdung konnte die Vorinstanz ausser willkürlichen und abstrakten Behauptungen nichts Konkretes vorbringen. 

Willkürlicher Kostenentscheid:

In einem von zwei Anklagepunkten erfolgte ein Freispruch (Ziffern 1 und 2 der angefochtenen Urteile). Trotzdem sind den Angeklagten die vollen Verfahrenskosten auferlegt und keine Entschädigungen zugesprochen worden. Das läuft dem Gerechtigkeitsgedanken in stossender Weise zuwider und verletzt damit gemäss BGer-Praxis das Willkürverbot.

Die von der Vorinstanz dazu vorgebrachte Rechtfertigung, insbesondere die Behauptung, es gehe bei beiden Anklagepunkten um ein und denselben Lebensvorgang, vermag nicht zu überzeugen: Das Einholen einer Bewilligung und das Durchführen einer verbotenen Kundgebung sind offensichtlich zwei verschiedene Lebensvorgänge. Das ergibt sich schon daraus, dass die eine Handlung unabhängig von der anderen vollzogen oder unterlassen werden kann. Daran ändert sich dadurch nichts, dass beide Handlungen unter das Thema Kundgebung subsumiert werden können. Ein bloss thematischer Zusammenhang zweier Lebensvorgänge macht diese noch lange nicht zu einem einheitlichen Lebensvorgang. Wenn ein Bankräuber auf der Flucht einen Fussgänger überfährt wäre der Bankraub und die fahrlässige Tötung nach der Logik der Vorinstanz ein einheitlicher Lebensvorgang. Das ist natürlich absurd.

Der vorinstanzliche Kostenentscheid läuft darauf hinaus, dass die Angeklagten aus rein juristischen Gründen zwar in einem von zwei Anklagepunkten freigesprochen wurden, jedoch praktisch dennoch als voll schuldig zu betrachten sind, weshalb die angefochtene Busse nicht gekürzt und die vollen Kosten überbunden wurden. Das verletzt gemäss Praxis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) den Grundsatz der Unschuldsvermutung.

Dr Erwin Kessler, Präsident VgT

 

Mit Beschluss vom 18. Januar wies das Kantonsgericht des Kantons Schwyz die Beschwerde des VgT ab. Hierauf zog der VgT den Fall an das Bundesgericht weiter:

Staatsrechtliche Beschwerde an das Bundesgericht


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