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Geliebtes Heimtier / billiges Verbrauchsmaterial
in Tierversuchslabors:
Ratten sind besser als ihr Ruf

von Erwin Kessler

Am 15. Dezember 1993 habe ich den 'Club der Rattenfreunde' gegründet. Immer mehr Ratten werden als geliebte und faszinierende Heimtiere gehalten, während gleichzeitig allein in der Schweiz jährlich über 300'000 Ratten und über 400'000 Mäuse für "belastende" Tierversuche verwendet werden - zum Teil für extrem grausame Versuche ohne Narkose und Schmerzmittel.  

Schmusetierchen: gerne im direkten Kontakt auf der Schulter und unter den Kleidern:

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Reichhaltig "möblierte" Rattenwohnung: Röhren zum Verkriechen, Papier und Karton zum Knabbern, Schlafhäuschen:

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So tierquälerisch werden in der Schweiz rund 1 Million Laborratten gehalten:

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Grausame Tierversuche

Von dem aus Steuergeldern finanzierten Nationalfonds werden Tierversuche unterstützt, die gefühllos-wissenschaftlich zum Beispiel wie folgt beschrieben sind (Nationalfonds-Bericht 18/1993): "Ein grosser Tumor, der ihren Bauch anschwellen lässt, hat die Milchdrüse dieser Maus befallen. Beim Säugen überträgt sie Krebsviren auf ihre Jungen." Solche Tumorversuche werden auch an Ratten ohne Narkose oder Schmerzmittel durchgeführt. Wie extrem schmerzhaft Krebsgeschwüre sein können, ist von menschlichen Krebspatienten, denen nur noch hohe Morphium-Dosen Linderung verschaffen können, bekannt. Die grossen Schmerzen der Versuchstiere bei solchen Tumorversuchen sind deutlich: die Tiere krümmen sich vor Schmerz, zeigen Speichelfluss und rot tränende Augen, werden aggressiv und beissen. Die Vereinigung "Ärzte gegen Tierversuche" schreibt über diesen Krebsversuch:

Dass das Mammatumorvirus (MTV) der Maus über die Milch übetragen wird, also oral, ist in der Versuchstierkunde seit den 60er Jahren bekannt. Über eine Generation mutterloser Aufzucht, bzw Ammenaufzucht mit virusfreien Müttern gelang es deshalb recht leicht, das MTV aus den Versuchstierbeständen zu eliminieren. Sicher bestehen Parallelen beim Übertragungsmechanismus zwischen MTV und Aids. Aber gerade diese Art der Übertragung ist leicht mit entsprechenden Verhütungsmassnahmen zu verhindern. Wo Armut solche Verhütungsmechanismen verhindert, wird es auch keinen - in seiner Wirkung ohnehin sehr fraglichen - Impfstoff geben. Die Mäuseversuche werden also keine wirkungsvollen Dienste in der Aidsbekämpfung leisten. Die Belastung der Tiere ist dagegen sehr hoch, wenn es zur Tumorentwicklung kommt. Die Kosten/Nutzen-Relation ist somit schlecht. Auf solche Versuche kann ersatzlos verzichtet werden.

In der Bibliothek der ETH Zürich habe ich zum Stichwort "Ratten" insgesamt 161 Publikationen gefunden. 159 davon handeln von biochemisch-pharmazeutischen Tierversuchen, 1 von psychologischen Tierversuchen und 1 von der Ratten- und Mäuseabwehr. Über das Wesen dieser Tiere und ihre natürlichen Verhaltensweisen und Lebensgewohnheiten findet sich nichts oder nur indirekt gerade soviel, als dies für deren industriellen Verwendung oder zu deren Vernichtung von technischem Interesse ist.

Ekel-Tier?

Die Abscheu vor Ratten und Mäusen hat historische Gründe und geht wohl zurück auf die Zeit der Pest-Epidemien. Auch ohne diese gefürchtete Krankheit konnte es damals eine Hungersnot bedeuten, wenn diese Kleinnager sich massenhaft vermehrten und sich über Vorräte hermachten. In der heutigen Zeit sind wir daran, langsam die vielen Vorurteile gegen Naturelemente abzuschütteln, die in längst vergangenen Zeiten entstanden sind, als die Menschen sich noch schlecht gegen natürliche Bedrohungen schützen konnten. So sehen wir heute naturnahe Bach- und Flussläufe wieder gerne und betrachten in Betonkanälen gebändigte Flüsse nicht mehr mit grosser Freude und Erleichterung. Raubvögel werden in Greifvögel umbenannt, um sie von den negativen Vorurteilen zu erlösen. Unkräuter werden als Bereicherung des Naturgartens, nicht mehr als etwas unbedingt Auszurottendes betrachtet. Nun ist es an der Zeit, auch Ratten und Mäuse vorurteilslos als die niedlichen und intelligenten Lebewesen kennenzulernen, die sie in Wirklichkeit sind. Die negativen Vorurteile gegen diese Tiere bewirken, dass sie von der Versuchstierindustrie massenhaft missbraucht und verbraucht werden können, ohne gross auf Ablehnung zu stossen wie etwa bei Versuchen mit Hunden, Affen und Katzen. Bevor diese Tiere mit politischen Mitteln von ihren Qualen erlöst werden können, müssen sie von ihrem Image als Ekel-Tier befreit werden. Dieses Ziel hat sich der Club der Rattenfreunde gesetzt. Es ist sein Anliegen, das Wesen und die Verhaltensweisen dieses hochintelligenten, sensiblen Tieres in der Öffentlichkeit bekannt zu machen und unter Rattenhaltern einen Erfahrungsaustausch über die artgerechte Haltung zahmer Ratten als Heimtiere zu pflegen.

Ratten und Mäuse

Die Ratten werden in der Zoologie zu den echten Mäusen (Murinae), einer Unterfamilie der Mäuse (Muridae) gezählt. Tatsächlich sind Ratten nichts anderes als grosse Mäuse. Ratten sind reinliche Tiere. Dass sie in Kanalisationsröhren, Bahntunnels und andere unwirtliche Orte verdrängt wurden und dort im Schmutz wühlen müssen, ist nicht ihre Schuld. Wie Katzen putzen sich Ratten viel und halten ihre Behausung, die Schlafkammer und die Nahrungsvorräte peinlich sauber. Die Ratten aus Zoohandlungen stammen meistens von speziell auf Krebsanfälligkeit gezüchteten Laborratten ab. Sie erkranken deshalb in der Regel im Alter von etwa zwei Jahren tödlichen an Krebs. Zoohandlungen täuschen ihre Kunden oft leichtfertig oder vorsätzlich mit unwahren Angaben über die Abstammung. Der Club der Rattenfreunde vermittelt darum Abkömmlinge von Wildfängen, welche nicht derart genetisch belastet sind. Auch weil die Tiere in vielen Zoohandlungen und bei deren Lieferanten tierquälerisch gehalten werden, sollten diese nicht gekauft werden (Boykott).

Friedliches Familienleben

In einem freilebenden Rattenrudel sind alle Tiere miteinander verwandt. Innerhalb des Baus liegt das Nest für Mutter und Junge an der geschütztesten Stelle. Die Aufzucht und Pflege der Jungen wird gemeinschaftlich besorgt, das heisst, jedes säugende Rattenweibchen kümmert sich nicht nur um seine eigenen Jungen, sondern auch um die der anderen. Wenn ein säugendes Weibchen auf der Nahrungssuche verunglückt, bleiben seine Jungen nicht hilflos zurück: Die anderen Rattenmütter ziehen sie mit auf. Die Jungtiere beginnen im Alter von 22 Tagen den Bau zu verlassen, um ihre Umgebung zu erkunden. Ihr auffälligstes Verhaltensmerkmal sind die reizenden Spiele, die sie nun zeigen; so balgen sie sich und flüchten voreinander. Nahrung, die sie finden, schleppen sie in ihren Bau, um dort das Gefundene in Ruhe zu sortieren. Was nicht aussortiert oder sofort verzehrt wird, landet in den Vorratslagern, die zu jedem Rattenbau gehören. Ausserdem gibt es dort Schlafkammern und verzweigte Gänge, von denen einige blind enden. In diese flüchten die Tiere sich bei Gefahr, wenn es ihnen nicht mehr gelingt, einen der Ausgänge zu erreichen. Jeder Bau besitzt mehrere Ein- und Ausgänge, die überdies häufig verlegt werden. In einem Rattenbau geht es zu wie in einer modernen Grossstadt in der Schönwetterperiode: Es wird ständig gebaut, umgebaut, ausgebessert. Innerhalb der Grossfamilie vertragen sich alle Tiere ausgezeichnet. Futterneid scheinen sie ebensowenig zu kennen wie Eifersucht. Ratten besitzen ein ausgeprägtes Bedürfnis nach Körperkontakt. Ohne Artgenossen - oder ohne Ausgleich durch ausgiebigen Körperkontakt zu einem Menschen oder einem anderen Tier - fühlen sie sich todunglücklich.

Streichel- und Schmuse-Tier

Als zärtliches Schmusetier ist die Ratte erst in den letzten Jahren entdeckt worden. Die Rattenhalter wissen ergreifende Erlebnisse mit diesen leicht auch in Stadtwohnungen zu haltenden Tieren zu erzählen: von Ratten, die bestimmte Fernsehsendungen mögen und andere nicht; von einer Ratte, die vor Kummer die Nahrung verweigerte, als sein Frauchen in den Ferien weilte und die bei ihrer Rückkehr auf ihrer Hand mit einer Träne im Auge gestorben ist; von Ratten, welche ihrem Frauchen geholfen haben, schwierige Zeiten zu überleben. Die Bindung zwischen Mensch und Ratte steht offensichtlich derjenigen mit Hunden und Katzen in nichts nach. Trotzdem werden Rattenhalter noch hie und da von ihrer Umwelt verachtet und belästigt. Auch das will der Club der Rattenfreunde ändern durch Aufklärung der Öffentlichkeit.

Das ideale Heimtier für die Stadtwohnung

Ratten sind - wie alle intelligenten Lebewesen - neugierig und brauchen viel Beschäftigung. Am besten werden sie, wenn sie nicht gerade Ausgang in der Wohnung oder auf der Schulter und unter den Kleidern seines Herrchen oder Frauchens haben, in reichhaltig strukturierten, zu Terrarien ausgebauten grossen Käfigen gehalten. Papier, Karton, kleine Häuschen, Stoffdecken, Klettermöglichkeiten, Futternapf und Wassernippel gehören zur Ausstattung einer Rattenwohnung. Ein Problem kann ihre Fruchtbarkeit werden. Dagegen hilft das Kastrieren der männlichen Ratten oder das halten von nur männlichen oder nur weiblichen Tieren, was gut geht. Nicht alle Ratten sind stubenrein. Als Trost: die kleinen Kotkrümchen lassen sich leicht mit dem Staubsauger entfernen. Kot und Urin stinken nicht und hinterlassen keine Flecken.

"Gesundheitsbewusste" Vegetarier

Ratten sind keine echten Allesfresser. Sie ernähren sich vorwiegend vegetarisch von Körnern und Nüssen und decken so ihren Eiweissbedarf mit pflanzlichem Eiweiss. Wenn sie die Wahl haben, ziehen sie vegetarische Lebensmittel - neben Körner und Nüssen auch Obst und Gemüse - vor, ernähren sich also so, wie es die modernen Ernährungswissenschaftler auch den von allen möglichen ernährungsbedingten Zivilisationskrankheiten befallenen Menschen empfehlen. Tierische Nahrungsmittel dienen Ratten lediglich als gelegentliche Ergänzung, die nicht unbedingt nötig ist; auch in dieser Hinsicht sind sie leichter zu halten bzw zu füttern als Katzen, bei denen sich das Problem stellt, sie mit Fleisch füttern zu müssen, das zur Hauptsache von Nutztieren kommt, die in der Intensivhaltung qualvoll gemästet wurden.

 

Literatur:
"Ratten als Heimtiere" von Gisela Bulla, erschienen im Verlag Gräfe und Unzer, ist eine praktische Anleitung zur Rattenhaltung. Jeder, der Ratten hält, sollte dieses preisgünstige Büchlein haben. Mehr historisch-wissenschaftlichen Charakter hat das Buch "Die kluge Ratte - Porträt eines Aussenseiters", ebenfalls von Gisela Bulla, erschienen im Verlag Wunderlich.


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