VN1994-6

Leiden Pflanzen auch?

von Erwin Kessler

In der Beilage des Öko-Zentrums "Schattweid" zur VN93-6 philosophierte ein Metzger über das Töten. Vieles, was er schrieb, ist nachvollziehbar und deckt sich auch mit meiner Ansicht. Er verstieg sich dann allerdings auch in fragwürdige Darstellungen über das Leiden von Pflanzen und die Behauptung, auch Vegetarier, nicht nur Fleischesser, müssten töten, um sich zu ernähren - Pflanzen töten. Das hat promt Reklamationen provoziert, dass so etwas in den VN abgedruckt werde.

Dazu meine ich: Die Argumentation, auch Pflanzen seien leidensfähig, wird immer wieder vorgebracht, wenn über ethische Fragen des Fleischessens und des Vegetarismus diskutiert wird. Ich denke, dass die meisten Leser der VN reif genug sind, sich darüber ihre Meinung zu bilden, und dass es nicht nötig ist, solche Äusserungen zu zensurieren, speziell dann nicht, wenn sie offensichtlich von einem Metzger vorgetragen werden. Ich möchte übrigens nicht rundweg ausschliessen, dass Pflanzen tatsächlich Empfindungen haben und in gewissem Sinne sogar auch eine Seele. Ganz klar sind das aber philosophisch-spirituelle Spekulationen, auch wenn es angeblich Beweise gibt für pflanzliche Empfindungen (mag durchaus sein; jedenfalls haben diese noch keinen Eingang in die Lehrbücher der Biologie gefunden und sind schwer überprüfbar). Dass ich mich trotzdem überhaupt zu diesem Thema äussere, hat den Grund, allen interessierten Tierschützern Argumentationshilfen zu geben. Wenn Fleischesser davon anfangen, auch Pflanzen würden leiden, dann ist das grundsätzlich einmal als Ablenkungsmanöver zu durchschauen. Klar und offensichtlich ist, dass Schmerzen und Leiden bei höheren Säugetieren, das heisst bei Kälbern, Rindern, Schweinen, Hühnern etc ausser Zweifel stehen. (Wer das bezweifelt, müsste nach Konrad Lorenz als psychisch gestört und gemeingefährlich in eine Psychiatrische Klinik eingewiesen werden.) Der Mensch ist von Natur aus ein Pflanzenfresser. Er muss Pflanzen essen, um zu überleben. So wie wir einem Löwen keine moralischen Vorwürfe machen können, wenn er Tiere frisst, so kann keinem Menschen ein Vorwurf gemacht werden, wenn er Pflanzen isst, wohl aber wenn er Tiere quält. (Persönlich lehne ich das Schlachten von Tieren nicht grundsätzlich ab, auch wenn ich mir dessen ethischer Problematik durchaus bewusst bin. In der Tierschutzethik wird dieses Thema noch kontrovers behandelt.) Es macht für mich nicht viel Sinn, spitzfindig herumzuphilosophieren, wo auf dieser Welt theoretisch vielleicht auch noch Leiden geortet werden könnte, sei es beim Bakterientöten beim Zähneputzen, beim Salatpflücken oder bei der Verletzung von Regenwürmern bei der Arbeit im Gemüsegarten. Die Welt ist dermassen voll von offensichtlichem Leiden, dass ich solche philosophischen Spekulationen als nutzlose Zeitverschwendung betrachte. Vorallem aber hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Es ist logisch nicht zwingend, dass derjenige, der aus ethischen Gründen kein Fleisch isst, auch keine Lederschuhe tragen darf: Mit dem Verzicht auf Fleisch hat er sich für das Wichtigste zum Schutz der Tiere entschieden. Diejenigen, die Fleisch essen und Ledermäntel und Lederschuhe tragen, haben sicher keinen zu kritisieren, der nur Lederschuhe trägt und so bedeutend weniger zur Ausbeutung der Nutztiere beiträgt. Ähnlich haben Fleischesser auch absolut keinen berechtigten Anlass, Vegetariern vorzuwerfen, sie würden Pflanzen töten. Mit dem Essen von Pflanzen, zu dem der Mensch von Natur aus gezwungen ist, wird sicher weniger Leid geschaffen, als mit dem heutigen Fleischkonsum - das kann kein ernstzunehmender Mensch bestreiten. Andernfalls ist jede weitere Diskussion Zeitverschwendung.

Richtig ist andererseits, dass wir, solange wir auf der Erde leben, nicht vollständig vermeiden können, andere Lebewesen (Tier oder Pflanze) zu schädigen, und sei es nur eine Ameise, die wir unwissend zertreten. Es kann aber nicht um ein Entweder-Oder gehen: entweder machen wir nie etwas Schlechtes ODER dann kommt es sowieso nicht mehr darauf an. Wichtig und entscheidend ist, dass wir uns bemühen, das Richtige zu tun, besonders dort, wo wir durch die Umstände unüberhörbar dazu aufgefordert sind, wie heute angesichts des skandalösen, barbarischen Umgangs mit den Nutztieren. Wenn wir die Misshandlung von Nutztieren direkt oder durch unser Konsumverhalten unterstützen, handeln wir unverantwortlich, unzivilisiert und unmenschlich. Ein Verzicht auf Fleischnahrung ist jederzeit möglich und sogar gesund. Ebenso sind wir nicht auf Tierversuche angewiesen (die Gründe können andernorts nachgelesen werden). Wer Tierversuche weiterhin unterstützt und ein Verbot ablehnt, wissend, wie grausam die Tiere leiden müssen, handelt ebenfalls unverantwortlich und barbarisch. Das kann von Menschen jedenfalls nicht behauptet werden, die Pflanzen ernten, um sich zu ernähren.


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