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Betonkühe
von Nicole Wyss

Liebe Leserin, lieber Leser. Ich möchte Ihnen jemanden vorstellen: Käthi.
Käthi ist eine Kuh und unterscheidet sich eigentlich nicht sichtbar von ihren Artgenossen. Käthi frisst täglich ca. 80 kg Gras, welches ihr Besitzer auf weit entfernten Feldern mäht. Käthi muht nicht lauter als ihre Artgenossen, ist nicht aggressiver und lässt sich genau so gut melken wie alle anderen Kühe. Ihre Milch schmeckt angeblich auch nicht schlechter. Käthi ist auch für das Gesetz kein Thema - alles bestens, alles konform - nix zu melden. Warum denn überhaupt über Käthi schreiben? Ich werde es Ihnen erklären: Käthi ist eine Betonkuh. Sie wissen nicht, was eine Betonkuh ist?

Betonkühe sind keine neue Kuhrasse, weit gefehlt. Betonkühe werden nicht als solche geboren, sondern zu solchen gemacht.
Die Kühe, welchen ich diese Kolumne widme, sind Kühe, welche nie auf die Weide kommen, welche nie weichen Boden unter den Füssen haben werden - Betonkühe eben.

Der Spielplatz von Betonkühen ist ein sogenannter Laufhof.
Auf diesem Hof, der nur etwas grösser ist als mein Wohnzimmer, gewährt man den Betonkühen ab und an etwas Auslauf. Diesen Hof kennen wir Menschen auch - bei Häftlingen. Bei denen ist es auch üblich, dass sie ab und zu in den Hof gelassen werden.
Ja, ja, der Auslauf.... 90 Tage schreibt das Gesetz vor, aber wer wird denn das schon so genau kontrollieren? Man nimmt es hier nicht so genau, wissen Sie.  "Im Durchschnitt zweimal pro Woche", blufft mich ein Besitzer von Betonkühen an - und lacht sich ins Fäustchen. Die kann mir nichts anhaben, das ist nämlich genau das, was unser "bestes Tierschutzgesetz von Welt" vorschreibt - wird sich dieser Herr gedacht haben. Ja, überlegen Sie doch mal! Das kann heissen: manchmal 4 mal die Woche, dann zwei Wochen lang nicht. Manchmal vielleicht nur einmal pro Woche. Aber ganz sicher heisst das doch, dass die durchschnittliche Betonkuh während fünf vollen Tagen pro Woche keine Klaue vor die Stalltür setzt. Sie sehen: alles eine Frage der Betrachtungsweise. Letztere ist bei Haltern von Betonkühen auch eingeschränkt, habe ich feststellen müssen. Sie beschränkt sich auf das Motto: grösstmöglicher Ertrag mit kleinstmöglichem Einsatz. Wenn nötig, dann halt zu Lasten der Betonkühe. Doch wenn ich es mir recht überlege, ist "Auslauf" eigentlich auch nicht das richtige Wort. Schliesslich können Kühe wie Käthi in ihrem Hof nicht laufen: zu wenig Platz und zu viele Tiere. Sie können also nur das tun, wozu sie eh schon verdammt sind - herumstehen. Kein Mittagsschläfchen in der warmen Sonne, keine neugierigen Blicke, wenn Spaziergänger vorbeikommen, kein genüssliches Kratzen an einem Baum, keine Balgereien mit Artgenossen, keine ausgiebige Körperpflege. Nichts. Einfach nur herumstehen. Und Milch produzieren.

Die Betonkuh Käthi kenne ich, weil sie einen Fensterplatz im Stall hat. Manchmal streckt sie ihren Kopf mit den grossen Kulleraugen durch das schmale Fenster und guckt sich die grünen Wiesen an. Manchmal winke ich ihr zu. Sie schaut traurig, die Käthi, obwohl meine gelehrten und studierten Mitmenschen immer mal wieder behaupten, Kühe seien gefühlsarm.
Ich verstehe Käthi, darum schreibe ich auch über sie. Sie ist zu einem Leben an Ketten verdammt. Sie lebt in einem dämmerigen Stall, tagaus, tagein. Sie liegt, steht, frisst, muht, liegt, steht, schläft. Und das auf einem spärlich bestreuten, harten Boden, obwohl ihr Besitzer ganze Schober voller Einstreu auf Lager hat.  That's it. Mehr liegt für eine normale Betonkuh wie Käthi nicht drin. Sie und ihre Artgenossen sind der Willkür ihres Besitzers ausgeliefert. ein Gott, das ist doch kein Leben! Ich setze mich für Lebewesen wie Käthi ein, weil sie mir leid tun. Ich kann nicht auf Gerechtigkeit durch Gesetz hoffen, weil Käthi wie so manche andere Kuh für das Gesetz eben eine "Alles-ok-Kuh" ist. Daher wende ich mich an Sie und an Ihren gesunden Menschenverstand. Halten Sie die Augen offen, tolerieren Sie nicht stillschweigend derartige Missstände. Kühe sind Weidetiere, alles andere ist Tierquälerei, Dummheit, Profitgier und Bequemlichkeit. Seien Sie keine Mittäter in diesem dreckigen Geschäft!

Betonkühe liegen übrigens im Trend. Wo ich wohne - im Säuliamt bei Zürich - weiss ich bereits von zwei Kuhställen ganz in meiner Nähe, wo Betonkühe leben.

Liebe Leserin, lieber Leser. Falls Sie Käthi besuchen wollen, können Sie dies tun. Sie ist an der Hausackerstrasse in Hedingen auf dem Betrieb Baumann, Abteilung Milchproduktion stationiert. Sie wird bestimmt zu Hause sein, wenn Sie kommen.


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VN00-1A ,  Januar 2000
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