14. Juni 2005

Menschenrechtsbeschwerde gegen Bundesgerichtsurteil in Sachen Rechtsanwalt Kugler

VgT-Präsident Erwin Kessler hat beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Beschwerde gegen das Bundesgerichtsurteil 6P.174/2004 vom 2. Mai 2005 erhoben.

Das Bundesgerichtsurteil unterschlägt in der Urteilsbegründung die Äusserung, gegen welche Kessler geklagt hat - nämlich der Beifall von Neonazis vor dem Zürcher Obergericht habe Kessler behagt - und zitiert Äusserungen Kuglers, die gar nicht Gegenstand des Prozesses waren (!) und sagt dann, Kugler habe dies sagen dürfen.

Bundesgerichtsurteile scheinen immer so korrekt und einleuchtend, weil das Bundesgericht in der Urteilsbegründung - vorallem bei politischen Prozessen - nur das aus dem vorangegangenen kantonalen Verfahren wiedergibt, was zum Urteil passt. Und nur diese so manipulierten Bundesgerichtsurteile werden veröffentlich, während die vorangegangenen kantonalen Verfahren der Öffentlichkeit und auch Juristen nicht zugänglich sind.

Diese - leider üblichen - Machenschaften des Bundesgerichtes haben dazu geführt, dass der vorliegende Fall im Bericht der  sda, der sich nur auf das Bundesgerichtsurteil stützt,  völlig verzerrt dargestellt wurde. Der Leser erfährt den wirklichen Klagegrund nicht, auch nicht, dass die tatsächlich eingeklagte Äusserung Kuglers (bezüglich des angeblichen Beifalls von Neonazis) nachweislich unwahr ist, weil es an jener Verhandlung vor dem Zürcher Obergericht überhaupt keine Neonzais im Publikum gab. Diese unwahre Behauptung hatte zudem mit dem Prozessthema nichts zu tun und war deshalb nicht durch anwaltliche Berufspflicht Kuglers gedeckt, wie das Thurgauer Obergericht zu Recht feststellte.

Kurz: Das Bundesgericht ging von Äusserungen Kuglers aus, die gar nicht eingeklagt waren, und behauptet dann, Kugler habe dies sagen dürfen. Die tatsächlich inkriminierte Äusserung Kuglers wird im Bundesgerichtsurteil überhaupt nicht erwähnt!

Mehr zur ständigen politischen Justizwillkür des Bundesgerichtes hier.

 

Aus der Begründung der Menschenrechtsbeschwerde:

Sachverhalt:

In einem Artikel der Zeitung "Der Bund" wurden dem Beschwerdeführer Erwin Kessler Kontakte zur Revisionisten- und Neonaziszene vorgeworfen. Hierauf klagte Erwin Kessler wegen Persönlichkeitsverletzung gegen den Verlag. An der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Münchwilen behauptete der Vertreter der Zeitung, Rechtsanwalt Kugler, in seinem Plädoyer folgendes:

"Zur Frage der Kontakte des Klägers [=Erwin Kessler] mit der Neonaziszene: Die Kontakte des Klägers mit der Neonaziszene sind in Judikatur und Presse nachhaltig nachgewiesen."

Nach dieser Behauptung zitierte Kugler den Brief eines primitiven Antisemiten, den das Zürcher Obergericht nach der Verurteilung von Erwin Kessler in einem Verfahren wegen angeblich antisemitischen Äusserungen zum Schächten (sog Schächtprozess) erhalten hat. Dann fuhr er in seinem Plädoyer wie folgt weiter:

"Man kann diesen Kontakt nun noch als passive Unterstützung abtun, die der Kläger bei der Verhandlung vor Obergericht Zürich erhalten hat. Wenn man dann aber im Urteil vom 10.3.1998 liest, dass der ganze Prozess von Seiten des Klägers zu einem Show-Prozess aufgebaut werden sollte, indem verlangt wurde, dass die Groupies und Supporter des Klägers am Prozess teilnehmen können und dass man den Gerichten vorgeworfen hat, sie hätten das Publikum von der Gerichtsverhandlung gezielt ferngehalten, womit der Öffentlichkeitsgrundsatz gemäss Art 6 EMRK verletzt ist, dann erhellt, dass dem Kläger das Soziotop seiner Supporter behagt, selbst wenn es sich nicht um Tierschützer handelt."

Kessler klagte hierauf  wegen Ehrverletzung gegen Kugler, was zum vorliegenden Verfahren führte.

Das Bezirksgericht räumte ein, dass die inkriminierte Äusserung ehrverletzend sei, sprach Kugler aber trotzdem frei, gestützt auf ein zwischen Hauptverhandlung und Urteilsfällung ergangenes Urteil des Bundesgerichts in einem anderen Verfahren, nämlich jenem gegen die Zeitung "Der Bund", wonach es zulässig gewesen sei, dem BF Kontakte zur Revisionisten- und Neonaziszene vorzuwerfen.

Das Bezirksgericht hat damit in einem dem Verhandlungsprinzip unterliegenden Verfahren (im Kanton Thurgau werden Ehrverletzungsverfahren als Zivilprozesse geführt) von sich aus Tatsachen in den Prozess eingeführt und das Urteil darauf abgestützt, wobei sich Erwin Kessler dazu nicht einmal äussern konnte. Dadurch wurde die Fairness des Verfahrens allgemein und das rechtliche Gehör im besonderen verletzt (Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention EMRK).

Die Verhandlungsmaxime bedeutet im Schweizerischen Zivilprozessrecht, dass es Sache der Parteien ist, dem Gericht das Tatsächliche des Streites darzulegen. Das Gericht darf seinem Urteil nur behauptete Tatsachen zugrunde legen, getreu der Parömie: "Quod non est in actis, non est in mundo.", "Da mihi facta, dabo tibi ius.", vgl. statt vieler Vogel/Spühler: Grundriss des Zivilprozessrechts, 7. Auflage Bern 2001, § 30 Rz. 19 ff.

In der anschliessenden Berufung an das Obergericht machte Erwin Kessler unter anderem Verletzung des rechtlichen Gehörs geltend und stellte gestützt darauf den Subeventualantrag, die Kosten für das Berufungsverfahren seien dem Beklagten zu auferlegen.

Was das Bezirksgericht nach Aktenschluss an den Parteien vorbei aus dem neuen Urteil des Bundesgerichtes in das vorliegende Verfahren übernahm, sind nicht etwa rechtliche, sondern tatsächliche Erwägungen zu jenem anderen Verfahren. Es ging mit anderen Worten nicht um den Verfahrensgrundsatz der richterlichen Rechtsanwendung (iura novit curia), wonach das Gericht das materielle Recht von Amtes wegen anzuwenden hat ("...tabo tibi ius."), sondern um eine tatbeständliche Feststellung, die vom Bezirksgericht prozess- und EMRK-widrig in das vorliegende Verfahren hineingezogen wurde. Davon abgesehen lautet jenes Urteil des Bundesgerichtes wie folgt (BGE 5C.155/2002):

Die Berufung wird gutgeheissen, soweit auf sie einzutreten ist. Das Urteil des Obergerichtes des Kantons Thurgau vom 11. April 2002 wird aufgehoben und die Klage auf Feststellung der Persönlichkeitsverletzung und Urteilspublikation abgewiesen.

Das Urteil enthält offensichtlich nicht die Feststellung, Erwin Kessler habe Kontakte zu Rechtsextremen, Revisionisten und Neonazis gehabt, auch nicht, man dürfe ihm das nachsagen. Rechtswirksam und verbindlich ist grundsätzlich nur das Urteils-Dispositiv, nicht jedoch die Urteils-Begründung. (Deshalb können Urteilsbegründungen grundsätzlich nicht mit Rechtsmitteln angefochten werden und ein Urteil wird nicht aufgehoben, wenn die Begründung falsch, aber das Ergebnis, dh das Dispositiv, aus anderen Gründen richtig ist.) Blosse tatsächliche Erwägungen des Bundesgerichtes in einem dem Verhandlungsprinzip unterliegenden Verfahren basieren vollständig auf den von den Parteien vorgebrachten Behauptungen und Beweisen und können deshalb für andere Verfahren grundsätzlich nicht verbindlich sein, denn wenn die Parteien in einem anderen Verfahren andere Beweise vorlegen, hat das Gericht von dieser Beweislage und dem dadurch belegten neuen Sachverhalt auszugehen.

Selbst wenn das Bezirksgericht die tatsächlichen Erwägungen im zitierten Urteil des Bundesgerichtes prozess- und EMRK-konform von sich aus in das vorliegende Verfahren hätte transferieren dürfen, hätte es dies somit nur bezüglich tatsächlicher Feststellungen machen dürfen, die im Urteils-Dispositiv rechtskräftig zum Ausdruck gekommen wären. Auf jeden Fall hätte das Bezirksgericht Kessler das rechtliche Gehör zur Bedeutung dieser tatsächlichen Erwägungen im zitierten neuen Bundesgerichtsurteil für das vorliegende Verfahren zwingend gewähren müssen.

Das Obergericht äusserte sich in der Urteilsbegründung nicht zu diesen geltend gemachten Mängeln, insbesondere nicht zur geltend gemachten Verletzung des rechtlichen Gehörs, womit es seinerseits das rechtliche Gehör verletzte.

Vor Bezirksgericht beantragte Erwin Kessler Zeugeneinvernahmen zum Beweis, dass an der fraglichen Gerichtsverhandlung im Schächtprozess vor dem Zürcher Obergericht überhaupt keine Neonazis oder Antisemiten im Publikum anwesend waren, weshalb er zum vorneherein gar keine Unterstützung aus dieser Szene erhalten konnte, die ihm angeblich behagt hätte. Das Bezirksgericht nahm diese Beweise ohne Begründung nicht ab bzw behandelte diese als überflüssig, indem es prozessgesetzwidrig tatsächliche Erwägungen des Bundesgerichtes im zitierten anderen, dem Verhandlungsprinzip unterliegenden Verfahren als für das vorliegende, ebenfalls dem Verhandlungsprinzip unterliegenden Verfahren verbindlich übernahm und wohl aus diesem Grund (eine Begründung fehlt), die von Kessler beantragten Zeugenbeweise nicht abnahm Damit wurde auch das Recht auf den Beweis in willkürlicher Weise verletzt.

In Gutheissung der Berufung Kesslers wies das Obergericht das Verfahren an das Bezirksgericht zurück mit der Anweisung, ein Beweisverfahren durchzuführen. Gegen diesen Entscheid Kugler Nichtigkeitsbeschwerde beim Bundesgericht. Das Bundesgericht hiess die Beschwerde gut und wies das Verfahren zur Freisprechung Kuglers an das Obergericht zurück.

Das Bundesgericht stützt den Freispruch Kuglers in Überschreitung seiner Kognitionsbefugnis (es ist nach Schweizer Recht an die Sachverhaltsfeststellungen des Obergerichtes gebunden) auf eine Sachverhaltsbehauptunge, die vorher im gesamten Verfahren von keiner Seite vorgebracht worden war und zu der sich Kessler nicht äussern konnte, dass nämlich Kessler im inkriminierten Text keine Sympathie zu Neonazis und Antisemiten unterstellt werde und die Klage deshalb haltlos sei. Wörtlich schreibt das Bundesgericht dazu:

"Wie die Vorinstanz zu Recht anerkennt, ist der im Parteivortrag an den Beschwerdegegner gerichtete Vorwurf, Kontakte zu Gruppierungen des Nazitums und des Revisionismus zu pflegen, ohne weiteres durch die Berufspflicht gemäss Art. 32 StGB gedeckt. Als zutreffend erweist sich auch ihre Beurteilung, wonach die im Plädoyer enthaltene Äusserung, dem Beschwerdegegner behage das Soziotop seiner Supporter, über den Vorwurf des blossen Kontakte-Habens hinausgeht. Nicht gefolgt werden kann ihr hingegen, soweit sie die inkriminierte Aussage auch als Ausdruck der Sympathie versteht, welche der Beschwerdeführer für rechtsextreme Kreise empfinden soll. Mit der inkriminierten Aussage wird vorliegend vielmehr die Fragwürdigkeit der Mittel betont, welcher sich der Beschwerdeführer zur Durchsetzung seiner tierschützerischen Anliegen bedient. Insofern steht hier der Vorwurf des Sich-Einlassens auf unheilige Allianzen ganz im Vordergrund."

Im gesamten vorhergehenden Verfahren ist von keiner Seite behauptet worden, nicht einmal vom Beklagten selbst, sein inkriminierter Text habe diese Bedeutung, die ihm nun von der letzten nationalen Instanz überraschend zugeschrieben wurde. Damit ist in gravierender Weise das rechtliche Gehör zu einer letztinstanzlich neuen, urteilsentscheidenden Feststellung verletzt worden.

Gemäss Praxis des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) gilt das rechtliche Gehör im übrigen auch für Rechtsfragen. Es kann deshalb offen bleiben, ob die Auffassung des Bundesgerichtes, Sinn und Bedeutung eines umstrittenen Textes für den unbefangenen Leser sei keine Frage des Lebenssachverhalts, sondern eine Rechtsfrage, vertretbar ist oder nicht.

Verletzungen der EMRK:

Das Recht auf den Beweis ist dadurch verletzt worden, dass im nationalen Verfahren der offerierte Beweis dafür, dass die inkriminierte Äusserung Kuglers unwahr ist, nicht abgenommen worden ist.

Das rechtliche Gehör ist zudem mehrfach in schwerwiegender Weise verletzt worden, indem das erstinstanzliche Urteil krass prozessrechtswidrig auf Tatsachen abstellte, zu denen sich Kessler nicht äussern konnte, und indem das Bundesgericht sein Urteil auf eine neue, überraschende und vorher im ganzen Verfahren nie zur Disskussion stehenden Interpretation des inkriminierten Textes abstützte, zu der sich Kessler ebenfalls nicht äussern konnte. Gerade auch diese Überrumpelung einer Prozesspartei im national letztinstanzlichen Urteil, welche den Ausgang des ganzen Verfahrens auf nationaler Ebene endgültig entschied, stellt eine sehr gravierende Verletzung des rechtlichen Gehörs dar. Sollte diese Praxis vom EGMR aktiv oder passiv (durch die übliche Unzulässigkeitserklärung von Beschwerden zwecks Arbeitslastreduktion) sanktioniert werden, dann wird dadurch die durch Artikel 6 EMRK garantierte Fairness des Verfahrens im Kern ausgehöhlt.


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