25. November 2004

Bemerkungen zum Weltwoche-Bericht über mich
Ein von der Weltwoche nicht veröffentlichter Leserbrief von Erwin Kessler

Ich bin wieder einmal einer Journalistin auf den Leim gekrochen. Zuerst lehnte ich ab, als sie mir einen Bericht über mich vorschlug. "Sie können sich wieder melden, wenn Sie etwas über Tierschutz schreiben wollen. Ich bin nicht interessiert an persönlicher Publizität.", sagte ich ihr am Telefon.  "Auf den 7 Seiten kann ich vieles schreiben über den Tierschutz", antwortete sie. Ich staunte: 7 Seiten. "OK", sagte ich, "von mir aus, aber nichts aus meinem Privatleben, nur über meine Tierschutzarbeit." Weltwoche-Journalistin Margrit Sprecher war einverstanden.

Ich frage Sie, Frau Sprecher, was hat die Frisur meiner Frau mit meiner Tierschutzarbeit zu tun, und was meine angeblich unwohnliche Wohnung, wo die Möbel nach Ihrer Ansicht "wie zufällig herumstehen"?

Sex ist ein süffiges Thema. Darauf will auch die Weltwoche nicht verzichten. Auf die Wahrheit kommt es dabei nicht an. Im Notfall müssen die Fakten dran glauben, wie schon Brecht es formulierte. Ich bin also ein "Besessener", der unter seinen Aktivistinnen "wildert". Woher wollen Sie das wissen, Frau Sprecher? Waren Sie dabei? Meine Gegenbeweise zu diesen uralten, im "Facts" vor 10 Jahren veröffentlichten Verleumdungen haben Sie mit geheucheltem Interesse entgegen genommen ... und dann völlig ignoriert.  Darunter auch das Schreiben der Aktivistin, die angeblich wegen mir in einer psychiatrischen Klinik gelandet sei, wie Sie behaupten, obwohl diese Aktivistin - wie Sie nachlesen konnten - schriftlich festhielt, ihr kurzer, wenige Tage dauernder Klinikaufenthalt habe mit mir nichts zu tun und sie bedauere es sehr, dass ich mich deswegen zurückziehe. Dieses Schreiben hätte Ihnen fast Ihre Story verdorben, nicht wahr? So haben Sie dieses einfach ignoriert und die alten Verleumdungen gegen mich wieder aufgewärmt. "Splitternackt" hätte ich mich ausgezogen, als ich bei Hochsommerhitze kurz im Rhein badetet. "Splitternackt"? Waren Sie dabei? Diese Edith, die das ganze inszeniert hatte, schränkte selber in einem Radio-Interview ein, sie wisse nicht mehr genau, ob ich vielleicht noch "rote Badehosen" angehabt hätte. Das wussten Sie, Frau Sprecher, hätte aber Ihrer Story das Prickelnde genommen, das Verklemmte wie Sie hinter dem Deckmantel der Moral so gerne geniessen, nicht wahr?

Sex ist, wie gesagt, immer ein interessantes Thema für die Masse, vorallem für Menschen, die Sex nicht leben können. Solchen Menschen geht oft die Fantasie durch, wie Ihnen, als sie den Satz erfunden haben, die VgT-Aktivistinnen seien mir "blind ergeben". Eine schöne Fantasie für Verklemmte: blind ergebene Sexopfer, mit denen man hemmungslos alle irren Gelüste ausleben kann. Darauf konnten Sie nicht verzichten, Frau Sprecher, wohl nicht nur der Auflage zuliebe. Dass Sie diese uralte, längst widerlegte Sexgeschichten wider besseres Wissen aufzuwärmen mussten, sagt mehr über Sie als über mich. Soziologische Studien zeigen: Je verklemmter ein Mensch, umso wilder seine Sexfantasien. Im Gegensatz zu Ihnen habe ich keinen Sex im Kopf und kann darum viel Energie freisetzen für meinen Einsatz zugunsten Wehrloser, Ausgebeuteter, Missbrauchter. Darum bin ich in Ihren Augen ein "Besessener". Für frustrierte Menschen, die mit verklemmtem Sex gefüllt sind, ist einer nicht mehr normal, unheimlich, diabolisch (mit oder ohne "diabolischem Spitzbart"), der innerlich und äusserlich so frei ist, sich uneigennützig für Wehrlose und Unterdrückte einzusetzen.

"Wenn Tierschützer Erwin Kessler nicht gerade vor Gericht steht, schleicht er nächtens in Ställe." Und ausser Rechtsbüchern lese ich kaum mehr Bücher, wollen Sie wissen. Da Sie zu wenig über mich persönlich erfahren haben, mussten Sie ein bisschen erfinden. Dass stets literarische Werke auf meinem Nachttisch liegen und ich fast täglich darin lese  - zur Zeit gerade Tolstoi -, das konnten Sie ja nicht wissen. Eine reisserische Story kann man umso ungenierter schreiben, je weniger Tatsachenwissen im Wege steht. Offensichtlich auch bei der Weltwoche.  Es ging um eine Story, nicht um Tierschutz und nicht wirklich um Tierschützer Erwin Kessler. "Die Leute möchten wissen, was Tierschüzter Erwin Kessler für ein Mensch ist", heuchelten Sie, und schrieben dann eine Sex & Crime-Geschichte, die wenig mit mir zu tun hat, aber viel mit Ihren verklemmten Fantasien.

Ich hatte noch nie einen Spitzbart. Habe immer noch meinen ganz gewöhnlichen Bart. Diese Fakten hindern Weltwoche-Redaktoren nicht daran zu schreiben: "Der diabolische Spitzbart ist ab." ich habe mit Ihnen, Frau Sprecher, auch nie über Kuh-Euter gesprochen. Trotzdem zitieren Sie mich diesbezüglich frei erfunden und beschreiben sogar noch anschaulich, wie ich dazu die Arme ausgebreitet hätte. Das entspricht offenbar Ihrer Cliché-Vorstellung von einem Tierschützer, dass der die grossen Euter kritisieren müsse. Von mir haben Sie das aber nicht, denn ich bin anderer Meinung. Extreme Hochleistungskühe sind auf Kraftfutter angewiesen, was für Graslandbauern unwirtschaftlich ist. Darum sind überzüchtete Kühe mit Euter bis zum Boden in der Schweiz eher selten. Auch bezüglich der Schweinefabrik des Klosters St Elisabeth haben Sie nach Fantasie, nicht nach Fakten geschrieben. Dort gab es keine halbverwesten Tierkadaver. Sie haben auch hier einiges durcheinander gebracht, vorsätzlich oder zumindest eventualvorsätzlich, denn Sie wollten mich ja unter keinen Umständen Ihren  Entwurf auf Fehler durchsehen lassen. Die Fakten hätte Ihre Story gestört. Bis zuletzt habe ich mich von Ihnen täuschen lassen. Ja, ich habe mich in Ihnen getäuscht, ich gebe es zu. Ich habe auch meine menschlichen Schwächen. Aber nicht die, die sie mir mit Ihren abschätzigen und verleumderischen Phrasen andichten.

Erwin Kessler 

PS: Bei der Schweinefabrik in Fehraltorf mit geändertem Namen "Geier" im Weltwoche-Bericht handelt es sich um die Schweinefabrik Vögeli.


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