Seltsame Rechtsprechung des Zürcher Obergerichts - mit unbedachten gravierenden Folgen für Medienschaffende

von Dr Erwin Kessler, Präsident Verein gegen Tierfabriken Schweiz VgT.ch

 1. Medienveröffentlichungen als unverjährbare Dauerdelikte

Nach bisheriger Lehre stellt eine Veröffentlichung kein Dauerdelikt dar. Mit der Veröffentlichung ist die Tat abgeschlossen. Die Tatsache, dass die Veröffentlichung weiterhin öffentlich zugänglich ist und der Autor diese nicht aktiv wieder zurückzieht, macht diese noch nicht zu einem Dauerdelikt. Diese bisher unbestrittene Auffassung hat der bekannte Freiburger Medienstrafrechtsexperte Prof Franz Riklin in einem Gutachten bestätigt (www.vgt.ch/justizwillkuer/schaechtprozess-2/081016-gutachten-riklin-dauerdelikt.pdf).  

Im Gegensatz dazu hat das Zürcher Obergericht in einem Urteil gegen den VgT die Auffassung vertreten, Veröffentlichungen in Online-Archiven seien Dauerdelikte, bis sie gelöscht würden (www.vgt.ch/justizwillkuer/schaechtprozess-2/080828-ruechweisungsbeschl-oberger.pdf). Begründet hat das Gericht diese Auffassung mit keinem Wort, und es hat wohl auch nicht die weitreichenden Folgen für praktisch alle Medienschaffenden bedacht bei diesem Entscheid gegen den VgT. Alle bedeutenden Printmedien haben ein Online-Archiv. Damit können nach dieser neuen Rechtsprechung Medienschaffende für alles, was sie zeitlebens veröffentlicht haben, bis zu ihrem Tod strafrechtlich verfolgt werden. Damit wäre die in unserer Rechtsordnung fest verankerte Verjährbarkeit faktisch aufgehoben.

2. Persönlichkeitsschutzklagen gegen Medienveröffentlichungen

In einem anderen Verfahren hat das Zürcher Obergericht die Auffassung vertreten, es genüge für eine Persönlichkeitsschutzklage gegen Medienveröffentlichungen, wenn der Kläger dem Gericht den "Sachverhalt", dh die fraglichen Veröffentlichungen vorlege und pauschal behaupte, diese seien ehrverletzend (www.vgt.ch/justizwillkuer/katja-stauber/090319-beschluss-oberger.pdf). In diesem Fall beurteile das Gericht "eigenständig", was in den vorgelegten Veröffentlichungen ehrverletzend sei. Damit hat das Obergericht faktisch die Substanzierungspflicht von Zivilklagen aufgehoben mit der gravierenden Folge, dass der Beklagte - dem unter Strafandrohung eine Veröffentlichung verboten wird - erst aus dem zweitinstanzlichen Urteil definitiv erfährt, was ihm eigentlich vorgeworfen wird. Im vorliegenden Fall hat tatsächlich nicht nur die erste Instanz, sondern dann auch noch das Obergericht "eigenständig" festgestellt, was in den inkriminierten Veröffentlichungen persönlichkeitsverletzend sei. Das Obergericht begründet dieses Vorgehen damit, was ehrverletzend sei, sei eine Frage der rechtlichen Würdigung; es genüge, wenn der Kläger den Sachverhalt darlege. Das ist natürlich Unsinn. Die rechtliche Würdigung hat sich auf die Beurteilung zu beschränken, ob als ehrverletzend behauptete konkrete Aussagen und Textstellen rechtswidrig sind oder nicht.

3. Ausblick

Bei politischer Justizwillkür lassen sich Richter von ihren politischen Ansichten und Vorurteilen, anstatt von Recht und Gesetz leiten. Das macht sie blind für die weiterreichenden Folgen ihres Urteils

Justizwillkür gegen den VgT als Medienunternehmen wird von anderen Medien in aller Regel nicht gross beachtet. Sie vertrauen darauf, dass die Rechtsprechung bei einem analogen, sie betreffenden Fall, wieder umgekehrt werde und es sich um eine spezifisch gegen den VgT gerichtete Unrechtsprechung handle, nach dem Motto "geschieht ihm recht". Das ist eine etwas gar sorglose Einstellung, denn die Europäische Menschenrechtskonvention verbietet diskriminierende Eingriffe in die Medienfreiheit, dh die Ungleichbehandlung von konformistischen und oppositionell-kritischen Medien. Darum lässt sich politische Willkürjustiz nicht so leicht wieder umkehren, wenn Grundrechtsgarantien wie die Meinungsäusserungs- und Medienfreiheit im Spiel sind.


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